Montag, 10. Januar 2022

Fremdschämen

Quelle: aertztezeitung.de
Als reichte es nicht, dass sich einer sein ganzes Leben schon mit den eigenen Charakter-Fehlern, Versäumnissen und Schwächen zu arrangieren hat. Je länger man lebt, desto mehr muss man sich auch mit dem Schämen auseinander setzen, dass andere durch ihr Handeln verursachen. Was wiederum die Erkenntnis auslöst, dass man sich schämt, weil man zu feige ist, die Stimme zu erheben. Im Neudeutsch gibt es dafür den passenden  Ausdruck Fremdschämen. Oder genauer cringe, wie es in der Jugendsprache heißt...

Kein Zweifel: Durch die "Socialmedia-Hype" geht auch der Hang, sich zu entblößen viral. Aber damit habe ich weniger Probleme als mit den Machtmenschen, die diese weitgehend unkontrollierbaren Plattformen nutzen, um politisches Gift in die Hirne Leichtgläubiger zu injizieren.
Am 6. Januar, dem ersten Jahrestag des Sturms auf das Capitol in Washington strahlte dasErste einen Dokumentar-Film mit neutral ausgewählten und zusammen gestellten Original-Szenen sowie Statements tatsächlich Betroffener aus. Ich war beim Anschauen derart im Fremdschämen gefangen, dass ich nicht abschalten konnte.

Kann sich trotz milder Strafe weiter in seiner
Popularität sonnen: Jake Angeli,
der so genannte QAnon-Schamane
Quelle: focus.de

Wie kann eine Nation, die sich das ohne ernsthafte Konsequenzen hat gefallen lassen, immer noch glauben, sie hätte einen Führungsanspruch innerhalb der freien Welt? Die Vorstellung, dass die Hälfte der Amerikaner/innen ähnlich oder genauso denkt wie diese unverbesserlichen Aufrührer ist unerträglich. Und die opportunistischen republikanischen Abgeordneten und Senatoren müssten doch den Rest der Welt angesichts der anstehenden Zwischenwahlen in den USA in Alarmbereitschaft versetzen. Vor allem weil die Dokumentation aufdeckt, dass der Sturm auf das Zentrum der Demokratie schon vorher abgemacht war - und nicht erst durch die Trump-Rede ausgelöst wurde. Also war das eine Folge der mit Trump-Twittern von langer Hand angeheizten Netzwerk-Verschwörung.  "Treason" - Hochverrat -  ist ein Verbrechen das  im Hinblick auf Assange auch bei Trump streng geahndet werden müsste. Aber bislang glitscht ja der Bibel-Schwörer durch alle juristischen Versuche, ihn  dingfest zu machen.

Dem Rest der Demokraten weltweit muss langsam klar werden, dass vom Fremdschämen für Beiträge im Netz  die Gefahr von Umstürzen allein nicht gebannt wird. Auch peinliche Kamera-Statements von Unbelehrbaren - so genannte "Stimmen" - in Nachrichten-Sendungen, feuern diese Dummschwätzer ja wohl eher weiter an. 

Die Meinungsfreiheit muss zwar als unser kostbarstes Gut geschützt werden. Das Fremdschämen aber sollte sich endlich Gehör verschaffen und zu einem ebenso vielstimmigen viralen Aufschrei führen. Wer immer den Zugang hat, sollte den anderen nicht das "Meinungs-Machen" allein überlassen. Nur dann wird der Macht des Bösen gerade während der Pandemie die "Maske des Missbrauchs"  herunter gerissen.

Interessant ist ja wohl auch, wie sehr sich die Macht-Missbraucher bei ihrem Tun immer - populistisch wirksam - auf die Fügung diverser Gottheiten berufen. Gerade das Schwören auf Bibel oder Koran ist keine überprüfbare Legitimation.

Oder doch? Da möchte ich als alter Agnostiker mit dem Zitat Matthäus 16.26 einschlägig auf die Luther-Version der Bibel verweisen:


Quelle: wikipedia.org
Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele? 

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