Mittwoch, 19. Februar 2020

Narren treiben!

Dafür, dass Karneval oder Fasching eine prägende Rolle in meinem Leben gespielt hat, habe ich zu der sogenannten "närrischen Zeit" heute ein sehr distanziertes Verhältnis.
Hätte der gar nicht mehr so junge Assessor, der später mein Vater wurde, bei einem Kostümfest im Kölner Gürzenich nicht den ein wenig pummeligen Teenager im Mauerblümchen-Fliegenpilz-Kostüm zum Tanzen aufgefordert, um an deren rassigere, reifere Freundin heran zu kommen, gäbe es mich schon mal nicht.

1960 Kinder-Fasching am Aschermittwoch.
Schon da ist der Blogger mit einem
blauen Auge davon gekommen
Dann kam ich als letztes ihrer Kinder ausgerechnet mit Abstand an einem Aschermittwoch zur Welt. Was den resoluten Ex-Fliegenpilz an meinem zehnten Geburtstag, der wieder ein Aschermittwoch war, veranlasste den Fasching einfach um einen Tag zu verlängern. Nur damit sie praktisch - wie sie nun einmal veranlagt war - in der Dekoration des Vorabends die neuen Nachbarkinder zwecks Sozialisierung ihres Sohnes noch zu einer Kostüm-Party einladen konnte, Das waren alles kleine Amis, die von den strengen Faschings- und Fasten-Regeln in Bayern sowieso keine Ahnung hatten.

Mehrmals fiel bis heute mein Geburtstag auch auf den Faschings-Dienstag, was in der Erinnerung dazu führt, dass gefühlt in unserer und der Familien meiner Frau eigentlich alljährlich häusliche Maskenbälle stattfanden.

Beim Maskenball der Deutschen Journalisten Schule, auf  den ich  - noch Teenager - eingeladen war, weil meine Schwester diese gerade absolvierte,  wich die Frau eines Großverlegers die ganze Nacht nicht von meiner Seite. Sie legte mir mit vollem Köper-Einsatz nahe, den Beruf des Journalisten ebenfalls zu ergreifen. Weil sie meine Talente erahnt hatte?


Es konnte wich ja keiner vorstellen, dass ich mich bereits ein Jahrzehnt später als Reporter in Wort und Bild weltweit in den Karneval-Trubel stürzte. Meine mehrfach kopierte Reportage über den Carnevale di Venezia war 1980 gewissermaßen der Auftakt für dessen touristische Wiederbelebung.
1980 noch eher eine Privat-Sache:
Der Carnevale di Venezia
in einer Lagune, die noch  überwiegend
den Einheimischen gehört

Nahe am Nirvana: Trinidads Queen af Carnival 1986
auf dem Grand Stand von Port of Spain
Den wildesten auf Trinidad hätte ich fast mit dem Leben bezahlt (siehe Erzählung "Ed" im Burgschreiber-Blog). Den überraschendsten und vor allem historisch besondere Carnival erlebte ich bei 45 Grad nächtens und maximaler Luftfeuchtigkeit auf St. Thomas, die zu den Amerikanischen Jungferninseln gehört. Dort wird von April bis Mai in schrillsten Kostümen gefeiert. - In Erinnerung an die Sklaven-Arbeit auf den Zuckerrohr-Plantagen, die mit dem Niederbrennen  der Felder und einem ekstatischen Fest endete: Cannes Brulées.

Das Schlüssel-Erlebnis, das mich von der närrischen Zeit distanzierte, war Helmut Kohls Erlass, alle Fastnacht-Festivitäten einzustellen, weil die Bushs da ja ihren ersten Öl-Krieg entfacht hatten. Drei Jahre später wurde munter weiter gefeiert, obwohl im Balkan-Krieg quasi vor unserer Haustür Menschen - zum Teil Verwandte von Leuten, die in Deutschland arbeiteten -  willkürlich hingerichtet in Massengräbern landeten...

Bis heute ist für mich immer wieder bestürzend, wie sich Spitzen der Gesellschaft im Geltungs-Strip zu Narren machen und wie Laschet oder Kramp-Karrenbauer todernst  Orden "wider den tierischen Ernst" entgegen nehmen. Überhaupt hat das Fernsehen dem "Närrischen Treiben" seine Unschuld genommen, seit das Sehen und gesehen Werden von günstigen Produktionskosten begünstigt wird. Promis überbieten sich da mit ausgefallensten Verkleidungen, um doch gleich erkannt zu werden. Was ja auch sein muss, weil die Darbietungen auf der Bühne an Niveaulosigkeit eben kaum zu unterbieten sind (siehe Fränkische Fastnacht).
Dem Söder sei Nos'n is net zum maskian!
Foto: t-online

Immerhin: Unser gesamter Familien-Clan wird sich wieder - wie jedes Jahr - am kommen Dienstag zum "Tanz der Marktweiber" mit minimal invasiven Kostümen auf dem Münchener Viktualien-Markt einfinden. Die Allerallerbeste trägt wie seit Jahren schon einen Jäger-Hut in einem weithin leuchtenden Neon-Gelb und dazu ihre gestreifte Zebra-Sonnenbrille. Zum Totlachen! Ich gehe vermutlich mit einem roten Punkt auf der Nase als ich selbst, weil mich in dem Trubel auch  so schon keiner  erkennt.

Tatäääh, tatähhh, tatäääähhh, Helau, Alaaf. Und Männer! - Morgen nur die hässlichsten und ausrangierten Krawatten tragen. Es ist ja Wieverfastelovend!
Ich schmeiß mich weg! Urkomisch das alles! Ich werde im Narren-Treiben mal wieder Narren treiben.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen