Händchen falten,Köpfchen senken und nur an das Schöne denken. Ja, so könnten wir uns verhalten - wir, die Generation, der nicht nur die "Gnade der späten Geburt" widerfahren ist, sondern die obendrein den Rekord von sieben Jahrzehnten ohne Krieg auf eigenem Boden erleben durfte...
Aber dürfen wir das? Sich sonnen im Erreichten?
Doch! Was haben wir nicht alles geschafft. Aus Trümmern zum Wirtschaftswunder, im Kalten Krieg wacker die Zähne zusammen gebissen, die erste Terrorismus-Welle überstanden, die Wiedervereinigung gestemmt und der Europäischen Union mit wesentlichen Impulsen zu einem erstaunlichen Start verholfen...
Jetzt kommen allenthalben Populisten und Einpeitscher und wollen unter dem Vorwand einer Flüchtlingskrise in wenigen Monaten alles zerstören, was so viel Mühe und Geld gekostet hat.
Wer, wenn nicht wir, die Alten, die noch ansatzweise die Mechanismen der Gefolgschaft in Erinnerung haben, erläutert den Jungen, nach welchen immer wiederkehrenden Impulsen das ganze abläuft.
Manchmal frage ich mich in diesem Zusammenhang, ob nicht insgeheim schon eine Art Zensur ausgeübt wird.
Anders ist es nicht zu verstehen, wieso der Film "Experimenter" von 2015 noch nicht in unsere Kinos gelangt ist, obwohl er ansonsten fast überall auf der Welt schon läuft. Probleme mit einer deutschen Fassung? Oder passt es gerade nicht zur Situation.
Der Film schildert kurios inszeniert die auf den ersten Blick absurden Versuchsreihen des amerikanischen Sozial-Psychologen Stanley Milgram. Er hat zu Beginn der 1960er nachgewiesen, dass in jedem Menschen das Zeug zum Folter-Knecht steckt, wenn nur ein anderer Anweisungen gibt und die Verantwortung übernimmt. Im jüdischen Amerika kam es gar nicht gut an, dass der Jude Milgram auch Vertreter des "geschundenen Volkes" als Probanden hatte. Weil sie genauso agierten wie die Majorität, argwöhnten die Gegner Milgrams, er wolle damit das kollektive Verhalten der Deutschen während der Nazi-Herrschaft in Schutz nehmen.
Die anderen im Film gezeigten Experimente waren so absurd einfach, dass man sie jederzeit einmal selber versuchen kann. Beispielsweise an einer belebten Ecke stur an einen Punkt am Himmel starren, oder in einem vollen Bus aufstehen, um laut ein Lied zu singen.
Wenige Impulse reichen, um mit den Mechanismen der Gefolgschaft im Prinzip vorhandene Zivilcourage auszuhebeln: Wenn eine vorbereitete Gruppe in sich einen Probanden zum Mitmachen umpolen möchte, braucht sie eigentlich nur eines zu machen: Eine Zeit lang mit dem Probanden einer Meinung zu sein, um dann nach und nach kollektiv andere widersprüchliche Gedanken einzubringen.
Der Proband wird denen Zustimmen, nur um nicht plötzlich Außenseiter zu sein.
Im Volkspalast sitzen geblieben zu sein, wenn alle aufsprangen, um mit gestrecktem Arm Heil zu schreien, wäre einem Selbstmord gleich gekommen...
Leider ist Milgram nur 51 Jahre alt geworden. Aber seine Experimente wurden bis in dieses Jahrtausend auch von europäischen Wissenschaftler wiederholt. Mit identischen Ergebnissen.
Man sollte also nicht gleich mitlaufen. Gerade in Zeiten der anonym übers Handy ausgelösten "Flashmobs" ist es ratsam, mal die Gefolgschaft zu verweigern. Außenseiter heimsen im übrigen die größten Gewinne ein.
Morgen beginnt wieder die sogenannte Sicherheits-Konferenz in München. Großkopferte tagen in diesen Tagen wozu? Um sich selbst in Sicherheit zu wiegen? Um an der Sicherheit zu verdienen? Um die aktuelle Unsicherheit zu bagatellisieren?
Außenseiter aufgepasst!
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