Donnerstag, 25. Februar 2016

Vom Witze reißen in trauriger Zeit

Mein Großvater mütterlicherseits, der die Hölle des Grabenkrieges zwar nicht im 100-Jahre-Jubiläums-Verdun, sondern am Chemin des Dames 1917 ohne PTBS überlebte, sprach mit seinem einzigen Enkel nie über seine Erlebnisse oder die ausgestandenen Ängste.

Mein Musiklehrer am Gymnasium, den wir liebevoll Opa Heim nannten, hingegen hatte, als wir mit dem Chor "O Haupt voll Blut und Wunden" einstudierten, einen Ausbruch an Erinnerungen, den ich nie vergessen habe:

 Er erzählte,dass einer seiner Kameraden im Graben die Feuerpausen damit überbrückte, dass er nonstop aus seinem schier unendlichen Repertoire Witze erzählte. Wenn das Bombardement wieder begann, und die Franzosen so gut wie aussichtslos gegen den Höhenrücken anrannten, gab er an Heim ab, der stets die neunte Strophe dieses Liedes von Paul Gerhardt und Johann Crüger mit Inbrunst anstimmte:

Wenn ich einmal soll scheiden,
so scheide nicht von mir,
wenn ich den Tod soll leiden,
so tritt du dann herfür;
wenn mir am allerbängsten
wird um das Herze sein,
so reiß mich aus den Ängsten
kraft deiner Angst und Pein.


Heim musste auch im Zweiten Weltkrieg noch einmal ran, Auch er hatte kein PTBS, weil ihm seine Musik wohl über alles hinweg half. Sein Kamerad, der Witze-Erzähler, hingegen hatte es nicht geschafft. Heim erlebte, wie er direkt neben ihm getroffen wurde und im Todeskampf in Embrio-Haltung nach seiner Mutter rief...

Mein Leben verlief bislang ohne Gewalt und derlei Schrecknisse. Dafür bin ich unendlich dankbar. Wenn ich mir es vergegenwärtige, so boten die letzten drei Jahre die schrecklichsten Momente meines Daseins. Obwohl ich ja das "gute Leben" ungestört weiter leben konnte, macht mir die Hilflosigkeit und das Unverständnis für die Eskalation schwer zu schaffen.

Mein Lieblings-Beispiel für politischen Irrsinn ist die Absage unseres Faschings und Karnevals, als Papa Bush im fernen Irak den ersten Öl-Krieg entfachte. Als im nah gelegenen Balkan wenig Später der Genozid begann, wollte hingegen keiner auf die Narreteien verzichten. 

Schon immer war ich auf der Seite der Narren in schweren Zeiten. Es ist auch kein Wunder, dass das Kabarett in diesen Tagen zur Höchstform aufläuft. Charlie Hebdo dokumentiert den Überlebenswillen des politischen Witzes zwar eher, aber auch das berühmte "Derblecken" am Nokherberg war gestern ein gutes Beispiel, die Politiker, die den Schaden anrichten, mit Spott zu übergießen. Mitunter waren die aber diesmal noch nicht einmal in der Lage gequält zu lachen.

Wenn es mit dem Rechtsruck in diesem und anderen Ländern so weitergeht, fürchten die "Derblecker", wird ihnen bald der Garaus gemacht.

Wie meinte Comedian Michael Mittermeier am Dienstag zum Studio-Publikum der ZDF-Satiere-Sendung "Die Anstalt" so in etwa:

"Ihr könnt dann noch backen, malen und Hosen verkaufen, aber was machen wir Kabarettisten im Berufsverbot?"

Herrlich naiv, der junge Mann! Bei einer denkbaren Achse Putin-Trump-Erdogan-Orban bliebe ja kaum mehr ein Weg ins Exil. Da ist ja die Tendenz zum Kopf-Abschlagen wahrscheinlicher...

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