Freitag, 29. März 2013

Unser aller Lamm

Um Mitternacht hat die Zweitbeste ein mit Zuckerguss überzogenes Kuchen-Lamm auf den Esstisch gestellt, einen bunten Strauss aus Kätzchen, Tulpen und Osterglocken dazu, und natürlich durften auch ein paar bunte Eier nicht fehlen. So werden in unserer Familie seit jeher die Oster-Feiertage begonnen. Unsere nicht getauften Kinder, denen wir das mit der Religion eigenverantwortlich überlassen hatten, haben das so unumstößlich übernommen. Christliche Feste werden feierlich begangen, obwohl außer meiner katholischen Frau niemand von uns so recht an die Geschichte glaubt. Außenstehende könnten das als ethischen und emotionalen Automatismus sehen, aber das trifft es nicht.

1972 haben wir als junges Paar Rudolf Augsteins "Jesus Menschensohn" gelesen. Darin hat der legendäre SPIEGEL-Herausgeber akribisch alle Widersprüchlichkeiten im Zusammenhang mit der Initial-Figur des Christentums zusammengetragen. Gut dreißig Jahre später hat er mit einer Überarbeitung und Erweiterung sogar noch einmal nachgelegt:

Augsteins Fazit: "Der Mensch Jesus, wenn es ihn denn gab, hat mit der Kunstfigur des biblischen und kirchlichen Jesus Christus nichts zu tun." Dass sie dennoch als Mythos so erfolgreich war, schrieb Augstein dem "genialen Theologen" Paulus zu. 

Wie dem auch sei: Meine Frau hat trotz der Lektüre und mitunter sehr kritischer Distanz zu ihrer "Mutter Kirche" unerschüttert weiter geglaubt, während mir das endgültig nicht mehr möglich war. Aber etwas hat die Zweitbeste durch ihre Unerschütterlichkeit ausgelöst: Ich kann inbrünstig Gläubige mit freudiger Gelassenheit sehen und mich an ihrem Glauben erfreuen. Das geht mir in meiner Wahlheimat Italien so, wo ich kaum eine Prozession auslasse und mich auch auf religiöse Dialoge mit meinen Nachbarn einlasse. Und ich bin gerührt, wenn meine Frau mindestens einmal die Woche in unterschiedlichen Kirchen Kerzen für die Familie entzündet. 

Heute Nacht konnte ich mal wieder nicht schlafen und bin schon mal im Kopf durchgegangen, was ich gerade schreibe. Dabei fiel mir auf, dass mich meine Reisen an alle christlichen Kulminationspunkte geführt hatten, ohne dass ich das bislang bilanziert habe:

Ich stand im Advent bei Sonnenaufgang auf dem Moses-Berg und habe im Katharinen-Kloster mit den Popen über die arameischen Schriften geredet, die angeblich ein erweitertes Jesus-Bild, nämlich als Familienvater, bergen. Ich war in Jerusalem nicht nur im Felsendom, sondern bin auch die Via Dolorosa nach Golgata hinauf gegangen. Wie viele Male ich im Petersdom und in der Sixtinischen Kapelle war, bekomme ich gar nicht mehr zusammen. Ich war in Lourdes und in Rocamadour, dem Ausgangspunkt des Jakobsweges. Es war überall immer so, dass mich losgelöst vom rationalen Wissen an jenen Orten ein ehrfürchtiger Schauer überkommen hat, gegen den ich mich gar nicht wehren konnte.

Der Historiker Heinrich August Winkler vertritt in seinen Büchern die These, dass erst der Monotheismus und als Folge das Christentum die "Geschichte des Westens" in Gang gesetzt hat. - Eine ungeheuerliche Entwicklung dafür, dass sie auf Legenden und Mythen beruht!

Da ich kein so unemotionaler Fakten-Sammler wie Augstein oder Winkler bin, habe ich mir eine infinitesimale oder besser stochastische, fast mathematische Erklärung für meine "heiligmäßigen Zustände" zusammen gereimt. Stochastik ist ja das Berechnen  von Lösungen auf Basis von Annahmen.

Wenn ich also annehme, dass die Angst des Menschen vor dem Übel und die Sehnsucht nach Erlösung und Vergebung so groß ist, kommt ein Jesus, ein Mensch, der sich für die Menschheit opfert, als Projektion oder in der Gestalt eines Opferlammes gerade recht. Auf dieser Projektion lässt sich dann stochastisch ohne Rücksicht auf Realität ein unendliches Denkmodell aufbauen, das sogar dadurch noch reüssiert, dass Glauben eben nicht wissenschaftlich Wissen heißt.

Dass das Christentum sich trotz aller in seinem Namen begangen Verbrechen so behaupten konnte, liegt eindeutig auch an seinen Segnungen, die aber nun einmal auch von Menschen  und Menschlichkeit im besten Sinne abhängig sind.

So gesehen hat der neue Papst einen furiosen Start hingelegt.

Und ja, ich werde mir am Oster-Sonntag wieder einmal im Fernsehen den Urbi et Orbi geben und danach eine dicke Scheibe vom Lamm abschneiden...

Sonntag, 24. März 2013

Sorry für die Toten

Als mein Sohn so um die vier Jahre alt war, entspann sich einmal folgender Dialog zwischen uns.
Ich sagte: "Wenn du mir versprichst, dass  du brav bist, darfst du mitkommen."
Darauf er: "Schade, dann kann ich leider nicht mitkommen."
Ich : "Wieso?"
Er: "Weil ich nicht versprechen kann, dass ich brav bin. Was man verspricht, muss man doch halten."

Eine merkwürdig kindliche Konsequenz dachte ich damals: Er bringt nicht den Willen auf, sich mal für ein paar Stunden anständig aufzuführen, aber er hält sein Ehrenwort für derart ehern und unumstößlich, dass er lieber auf eine gemeinsame Unternehmung verzichtet...

Heute nach bald dreißig Jahren weiß ich, dass das damals bereits ein Hinweis auf seinen besonderen Charakter war: Der eher weiche, bisweilen nervig trödelnde Faulpelz wurde immer dann hart wie Granit, wenn er im Recht war und jemand dieses Recht beugen wollte - ob in der Schule oder im familiären Umfeld. Für diese Sturheit oder besser Unbeugsamkeit nahm er Zurücksetzungen, anstrengende Umwege und auch Demütigungen in Kauf. Das änderte nichts daran, dass er jedes Versprechen - auch jene, Ziele zu erreichen - auf seine Weise gehalten hat. Das mit seiner Diplomarbeit wird also wohl auch noch irgendwann klappen.

Ich komme auf diese Eigenschaft zu sprechen, weil ich mir einst in ähnlicher Naivität wünschte, dieser unbeugsame und konsequente Wille zur Gerechtigkeit möge zum Rüstzeug von Menschen gehören, die politische Ämter anstreben. Heute, da ich miterleben muss, wie selbst eine moppelige, freiheitliche Justizministerin unter Koalitionsdruck zum ideologischen Schlangenmenschen mutiert, ist mir natürlich längst klar, das sämtlicher Ethos bereits bei Eintritt - gleichgültig in welche - Partei  in einem gepanzerten Teil der Seele eingelagert werden muss. Sonst reüssiert man eben nicht, und kann auch kein hohes Amt bekleiden. Eine moralische Instanz ist dann allenfalls die historische Interpretation.

Barak Obama,  dem ja sein Friedensnobelpreis bereits auf Versprechungen hin verliehen wurde, hat bis heute das Straflager Guantanamo nicht aufgelöst. Das sollte ja eine seiner ersten Amtshandlungen sein. Im zweiten Amtseid hat er wieder geschworen, die Rechte seiner Mitbürger zu schützen, aber das hindert ihn nicht daran, auch US-Bürger bei Drohnenangriffen ohne Gerichtsverhandlung hinrichten zu lassen. "The Land of  the Feee" klingt seither ein wenig falsch, was aber den Sympathien für den ersten Präsidenten mit afroamerikanischem Hintergrund auch in seiner zweiten Amtsperiode keinen Abbruch tut.

Nun war er an den vergangenen Tagen zu Gast bei einem Amtskollegen, der Unbeugsam auf Angriff gestriegelt ist, und so kürzlich gerade mal auch mit Ach und Krach seine Wiederwahl erreicht hat. Einer der wieder Mauern baut, anstatt sie einzureißen und die längst überkommene Angst vor einem Atomkrieg wieder herauf beschwört. Obama hat Netanjahu dabei  auch geschworen, die Freundschaft  der USA mit Israel quasi um jeden Preis zu verteidigen. Der Blick richtet sich bei solchen Versprechungen in Richtung Iran, dem man ja unterstellt, Atomwaffen haben zu wollen oder bereits zu haben.

Wenn diese Erkenntnis so gesichert ist wie damals bei George W. Bushs Irak-Krieg gegen Saddams "Arms of Mass Destruction", wird es für die übrige Welt wohl bald wieder mal zu Kolateralschäden kommen...

Gut, wenn man da wenigstens die linke Flanke beruhigt. so hat Obama Netanjahu dazu bewegt, sich bei der Türkei, dem NATO-Partner, für die Toten bei der Enterung des zivilen Schiffes mit Gaza-Hilfslieferungen vor zwei Jahren zu entschuldigen. Schon ist das Verhältnis zwischen beiden Staaten wieder verbessert.

Die Entschuldigungen für die bei Bombardements aus Versehen getöteten afghanischen Zivilpersonen waren da aber nicht so wirkungsvoll. Man wird - wenn alle Schutztruppen abgezogen worden sind - feststellen, dass der ganze Blutzoll am Hindukusch wieder nichts bewirkt hat, außer vermehrt Hass und Instabilität zu erzeugen.

Vielleicht sollten die Schutzmächte in Zukunft nur noch Truppen mitnehmen, die versprechen, brav zu sein. Und wenn sie das nicht versprechen können, sollten sie zumindest so tapfer sein, daheim zu bleiben.

Sorry für die Toten!

Mittwoch, 20. März 2013

Europoly

Eineinhalb Jahrzehnte bildeten die Zweitbeste und ich  mit dem kinderlosen Paar Rebecca und Rolf eine Zocker-Runde. Einmal im Monat freitags wurde erst lecker gekocht und dann ein grüner Filz über den Esstisch gezogen, auf dem dann eine Reihe unterschiedlichster Spielrunden gegen Bares absolviert wurde. Es ging mitunter um ganz schöne Sümmchen, aber im Gegensatz zu den Banken wurden alle unsere Gewinne und auch die Verluste "sozialisiert". Das Geld landeten erst in einem dickbäuchigen Sparschwein aus nachhaltiger Aufzucht und dann auf einem Sparkonto, für das es damals noch Super-Zinsen gab und das irgendwann einmal für eine große, gemeinsame Reise geplündert werden sollte...

Obwohl ich leider ein lausiger Verlierer bin, waren diese Spiele-Abende mit wenigen Ausnahmen meist sehr harmonisch. Nur immer dann wenn uns der Teufel ritt, spielten wir auch Monopoly. Selbst wenn dabei der Ausgang vorprogrammiert war. 

Rebecca und ich schmiedeten nämlich waghalsige Allianzen, während die Zweitbeste und Rolf sich - im Gegensatz zum sonstigen Naturell - mit vorsichtigen Investments und gegenseitigen Mietbefreiungen zwar recht aber schlecht um die Runden halfen. Was soll ich sagen. Es endete wie im richtigen Leben: Die bösen Zocker zockten derart schamlos ab, dass nicht nur die Monopoly-Bank letztlich pleite war.

Noch heute bin ich fest davon  überzeugt, dass kein Gesellschaftsspiel die schlechtesten Eigenschaften eines Menschen derart hervorkitzelt wie Monopoly. Auch kann keine wissenschaftliche Abhandlung die Funktionsabläufe dieses "Moloch Kapitalismus" einfacher dokumentieren, als es dieses Brettspiel auf nur einer Runde schafft.

Angesichts des Rumzockens um Europa mache ich deshalb heute den Vorschlag, das alt bewährte Spiel um die Variante EUROPOLY zu ergänzen, damit die Spieler dabei auch aktuell etwas für ihr Leben lernen 

Hier einige Ideen:

Die farbigen Straßenfelder werden zu Ländern. Entsprechend der jeweiligen Finanz-Situation werden die prekären Felder der ersten Geraden nach Los also umbenannt: Zypern und Griechenland ersetzen Bad- und Turmstraße, der Südbahnhof entsprechend anderer Euro-Gräber exemplarisch zu "Stuttgart 21" oder "BER". Chaussee-, Elisen- und Poststraße sind dann Griechenland, Italien und Spanien. Allen auf dieser Seite ist gemeinsam, dass man sich bei den Investitionen nicht lange mit Konzepten und Plänen aufhalten muss. Sie sind gegen Spenden ohne Umweg über sozialen Wohnungsbau am schnellsten mit subventionierten Hotels zu bepflastern. Witzig ist, dass ausgerechnet dort auch das Einkommensteuer-Feld lauert. - Kann also glatt ignoriert werden. 

Den Rest erledigen dann schon Gemeinschafts- und Ereignisfeld. Hier zwei typische Karten. "Die Europäische Gemeinschaft beschließt einen Privatbeitrag zur Bankenrettung in Ihrem Heimatland. Ihr Bargeldbestand schrumpft um 10 Prozent" oder noch besser "Unvorhersehbares Ereignis: Die Bauarbeiten an Stuttgart 21 werden nun doch eingestellt, die Zahlungen für bereits erfolgte Dienst-und Sachleistungen auch. 10 Runden ziehen sie bei Los leider keinen Bonus ein!" 

Ich muss ja wohl nicht betonen, dass Deutschland und Frankreich dann für Parkstraße und Schlossallee stehen, und sollte der Euro da tatsächlich gescheitert sein, wird nahtlos die neue Gemeinschaftswährung  "Merkel" eingeführt.

Eine völlig neue Dimension erhält nun das Gefängnis, seit die Finanz-Jongleure gemerkt haben, wie mühelos sie weiter Geld scheffeln, während sie wegen Steuer- oder Kartell-Vergehen einsitzen. Die Karte "Sie kommen aus dem Gefängnis frei" wird nun gerne unterschlagen. Die Karte "Gehen sie in das Gefängnis, begeben Sie sich direkt dorthin, gehen Sie nicht über Los, ziehen Sie keinen Bonus ein!"  wird jetzt hingegen bejubelt.

Natürlich möchte ich hier  nicht jede Einzelheit meiner Idee präsentieren. - Schließlich habe ich ja noch kein Europäisches Patent angemeldet, und wer weiß, ob die Euro-Version dann überhaupt noch Gültigkeit hat.

Aber einen Hinweis auf die Felder Wasser- und Elektrizitätswerk möchte ich doch noch geben. Wasser wird ja nach EU-Vorstellungen bald vom Gemein- zum Handelsgut. Deshalb ist dieses Feld in Zukunft besonders tückisch. Bei jeder Runde müssen diejenigen, die darauf  geraten, mit willkürlich erhöhten Abgaben rechnen. Noch schlimmer trifft es die, die im Elektrizitätswerk landen. Da hält der Karten-Fundus auch noch einige zusätzliche Überraschungen parat: 

Dabei ist die betreffende Ereignis-Karte "Sie haben ein Charity-Diner zugunsten der Netzbetreiber mit Peter Altmeier als Tischherrn gewonnen, bitte spenden Sie 3000 €!" noch die harmloseste. Hart ist die Gemeinschaftskarte "Auf ihrem Grundbesitz entsteht ein Windpark. Die Felder müssen von allen Bauten zu Ihren Lasten geräumt werden."

Sonntag, 17. März 2013

Werte! Welche Werte?

Da ging aber ein Aufschrei durch die Welt des fundamentalistischen Islam: Hat doch der Iraner Mahmoud Ahmandinedschad glatt die Witwe Chavez bei der Beerdigung des venezuelanischen Comandante umarmt. Wo doch so ein Aushängeschild des fundamentalistischen Islams wie dieser mitunter grenzdebil erscheinende Präsident außer seiner eigenen Frau keines von diesen nachgeordneten Geschöpfen umarmen darf!

Die zweitbeste aller Ehefrauen, die ja bekanntlich die Meine ist, war einmal so nett, für eine Nachbarin im Umzugsstress den bei uns geborenen und aufgewachsenen Deutschtürken zu bekochen, der die Möbel geliefert hatte. Der junge Mann missachtete die ihm freundlich zum Willkommen dargebotene Hand mit den Worten:"Ich gebe keiner Frau die Hand".

Er pflanzte sich dann wie selbstverständlich ans Kopf-Ende unserer Tafel, verweigerte das eigens nach allen Regeln mit Rücksicht für ihn gekochte Mahl und begann wortlos eine Zigarette nach der anderen zu rauchen...während wir aßen.

Ich war zu perplex, um ihn im hohen Bogen rauszuwerfen: Einen Mann, der mit der von mir stets gerühmten Freundlichkeit seiner Landsleute gar nichts mehr zu tun hatte. Der deutsche Schulen besucht hatte, aber bei seiner gewerblichen Dienstleistung keine Rechnung ausstellt, um den Staat, der ihm auch seinen Pass gegeben hat, um die Steuer zu betrügen. - Das Antiberührungsdogma hinderte ihn allerdings nächtens nicht daran, unserer Nachbarin noch an die Wäsche zu wollen.

Ich bin beileibe kein Sarazin, aber in mir kochen seither die Fragen nur so hoch: Brauchen wir solche Landsleute? Sind sie am Ende nur Einzelfälle wie die Kids, die hier zwei Straßen weiter in die Weihwasser-Becken der Gemeindekirche pissen? Ist das Zwischenergebnis des sogenannten "Arabischen Frühlings" tatsächlich das, was sich die Frauen dort von ihm erhofft hatten?

Selbst unter Nasser war die ägyptische Frau schon weiter, wirkte unverschleiert  als Professorin, Journalistin oder Ärztin - wie übrigens auch die afghanische vor den Taliban. In meiner Jugend waren Damaskus und Beirut aufgeklärte Multikulti-Hochburgen, in denen die Geschlechter frei und mit hohem Lebensstandard gelebt, gearbeitet aber auch gebetet haben. Bei meiner Arbeit habe ich in Tunesien, Marokko und Mauretanien selbstbewusste Kolleginnen kennen gelernt, die unverschleiert zu ihrer Religion standen. Ich mag mir gar nicht vorstellen, unter welche Repressalien sie jetzt womöglich Journalismus betreiben - wenn überhaupt.

Polyhistorisch ist das Gift, das seit den 1970ern in den Islam geflossen ist und das ja auch das Bruder-Verhältnis von Sunniten uns Schiiten blutig belastet, kaum zu begründen. Gut, das mitunter imperialistische Eingreifen der immer ölgeilen "Schutzmacht" USA hat bestimmt für berechtigten Hass gesorgt, weil es ja letztlich unter fadenscheinigsten Begründungen bis heute auch nichts bewirkt hat.

Aber wir Europäer haben doch wohl ganz gehörig zum heutigen Wohlstand der Türken beigetragen und überwiegend vorbehaltlos als Zuflucht für Iraker, Syrer, Jordanier und andere Verfolgte aus dem Islam gedient. Die Versäumnisse bei der Aufklärung der NSU-Morde sind gravierend, aber dann wird aus einem schadhaften Fernseher dessen Brand in der Folge eine türkische Mutter mit ihren Kindern zu Opfer fällt ein Staatsakt, der propagandistisch so ausgeschlachtet wird, dass man sich nur noch wundern kann, wieso die Türkei bei all diesem Misstrauen uns gegenüber überhaupt noch den Beitritt zur EU anstrebt.

Die Crux liegt in der Übermittlung der Werte. Das war übrigens auch ein Phänomen bei der Wiedervereinigung unseres Landes, bei der viele Bürger der DDR glaubten, es stünde  ihnen unmittelbar nach dem Fall der Mauer all das zu, was ihnen vierzig Jahren ja nicht durch unsere Schuld vorenthalten wurde.

Bei der Integration der hier arbeitenden Nationen sind wir vielleicht nicht immer offensiv genug vorgegangen. Ein Kind wird erzogen, in dem man ihm Grenzen aufzeigt und Werte vermittelt, die im Zusammenleben der Familie und später in der Gesellschaft nachhaltig wirken.

Wenn Gastfamilien aus anderen Ländern in den eigenen vier Wänden nach mitunter überkommenen Regeln leben wollen, sollen sie das tun - so lange sie dabei nicht gegen unsere Gesetze verstoßen. Wenn sie diese aber militant nach außen tragen oder wie im Umgang mit Frauen dogmatisieren wollen, müssen wir rasch und bestimmt Einhalt gebieten. Also nicht die Verantwortung hierfür allein dem Gesetzgeber überlassen. Hier, in unserer Gesellschaft müssen für das Zusammenleben des Ganzen unsere Regeln gelten. 

Aber - in ihrer und für ihre Außenwirkung hat die Gesellschaft auch die Verpflichtung zur Integration. Von Gastfamilien, in denen alle erwachsenen Familienmitglieder in prekären Jobs schuften müssen, können wir kaum nach Feierabend noch eine Vermittlung unserer für sie unverständlichen Werte erwarten. 

Hier muss für die Zukunft angesetzt werden. Generell ist ja aus Eigeninitiative nicht das zu erwarten, was ich neulich hier im Glashaus erlebt habe. Ich will den Sinn dahinter nicht weiter interpretieren:

Auf der Gewerbe-Etage  bietet einer der bundesweiten Nachhilfe-Dienste für Schüler seine Programme an. Abends werden vor allem die Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund fürsorglich von ihren Eltern abgeholt. Ein noch junger Vater - äußerlich von Kleidung, Bart- und Haartracht seinen Salafismus signalisierend - holte da nicht etwa seinen Sohn ab, sondern wartete auf seine nahezu verschleierte Frau, die eine streng ins Kopftuch eingebundene Tochter im fortgeschrittenen Gymnasial-Alter im Schlepptau hatte...

Donnerstag, 14. März 2013

Jetzt also ein Jesuit als Papst


Zum neuen Papst Franziskus I, dem ersten Jesuiten auf dem Stuhl Petri, stellten sich gestern Abend spontan Erinnerungen an meine Zeit auf einem privaten Gymnasiums ein. Das ist 50 Jahre her, aber der Einfluss von Jesuiten und Salesianern, die begeisterte und zum Teil begeisternde Lehrer waren, wirkt ja immer noch nach. Ob im Sinne Don Boscos beim Sport oder des heiligen Franziskus von Assisi - was präzises Lehren und persönlich gelebte Bescheidenheit anging - waren das tolle Lehrer. Aber man durfte ihnen nicht auf den Leim gehen, denn sie waren doch in erster Linie Agenten ihres Glaubens, was auch protestantische Schüler zu spüren bekamen. Vor allem wenn sie intelligent genug waren ihr Doppelspiel zu durchschauen.

Franziskus I hat genau das Alter, das auch meine diversen Lehrer-Patres - so sie noch am Leben sind - heute haben dürften. Er wurde also auf gleiche Art als dem Papst und Dogmatismus treuer Rekruteur des Katholizismus trainiert. BR-Chefredakteur Sigmund Gottlieb sprach gestern daher live auch bezeichnend und entlarvend vom Kandidaten für die Wachstumsmärkte des Katholizismus...

Das muss nicht die schlechteste Eigenschaft sein, aber man sollte die Erwartungen an den neuen Papst in puncto Reformen nicht zu hoch schrauben. Es ist ja auch eine Frage, wie viel Zeit dem 76jährigen bleibt.

Ich habe meinem erzählerischen Alter Ego Johannes Goerz vor Jahren bereits ein Erlebnis in seinen fiktiven Lebenslauf geschrieben, das in etwa exemplarisch die Einstellung der Jesuiten in den 1960ern wiedergibt.

 Seine Jahre als Reisender zwischen den Welten des Islam, des Buddhismus, des Hinduismus, die Begegnungen mit den verschiedensten Natur-Religionen und letztendlich jener unfassbare Schrecken und Terror, der im Namen fanatischer Gläubigkeit auf Andersdenkende ausgeübt wird, verhinderten zwar, dass Johannes Atheist wurde, aber sie führten gleichzeitig zu einem überwiegend hilflosen Agnostizismus. Er lehnte gemäß Thomas Henry Huxley alle transzendentalen Fragen ab, aber er war trotz allem tolerant genug die Frage - hätte man sie ihm gestellt - nach der Existenz Gottes mit "ich weiß es nicht" zu beantworten.
  Da sich dann aber Geschehnisse im Laufe seines Lebens abnorm gehäuft hatten, die das Einwirken und Vorhandensein einer höheren Macht denkbar machten, gefiel ihm die Vorstellung von einer Art mathematischer Gesetzmäßigkeit - einer empirischen "Formel Gott" also.
  So lange er jung und zornig war, überwogen bei Johannes jedoch die Antithesen.
  Sein Englischlehrer stellte so eine dar: 
  Gawlicek, den sie in Anlehnung an sein Fach Pater Knoblauch nannten - war ein Jesuit und exemplarischer Agent Gottes. Er beschiß beim Billard und Tischtennis, er war den Mädchen in der gemischten Klasse gegenüber  geringschätzig („lange Haare, kurzer Verstand“), er rauchte Pfeife im Unterricht und ließ mit ihrer Hilfe aus den Köpfen Unwissender symbolisch seinen Tabak-Qualm aufsteigen, in dem er ihn den Delinquenten unappetitlicher Weise in die Haare hauchte. Vor allem aber war der Mann mit dem Kollar im inquisitorisch schwarzen Anzug nicht nur ein gegenüber der Menschenliebe Intoleranter, sondern auch ein unverbesserlicher Antisemit. In beiläufigen Kommentaren wie auch durch aktives Handeln. Das bekam drastisch der jüdische Mitschüler Charly Padlowski (wie der Pater polnischer Abstammung) zu spüren:
  Zu jener Zeit, in der der braune Schrecken gerade mal etwas mehr als Charlys Knabenalter her war - hingen noch Kreuze in den Klassenzimmern, und das bayerische Kultusministerium schrieb ein ökumenisches Schulgebet vor. Wenn es in den ersten Stunden Englisch gab, wurde dieses Gebet in einer Übersetzung gesprochen. Charly, dessen Familie Holocaust-Überlebender den Glauben nicht einmal praktizierte, demonstrierte seine Toleranz, in dem er den englischen Text zwar wie eine "Lesson" mitsprach, aber die Hände nicht zum Gebet faltete. Gawlicek, damals als Klassenlehrer noch neu, packte Padlowski im Zorn seines allein vertretenden Gottes mitten im ersten Gebet  und setzte ihn mit den Worten vor die Tür:
  "Wenn du nicht beten kannst, hast du auch hier drinnen so lange nichts zu suchen!"
  Die Klasse war erschrocken im Gebet verstummt, aber außer Johannes und natürlich Charly war wohl die Ungeheuerlichkeit dieses Vorganges niemandem bewusst geworden. Noch bevor er überhaupt über Konsequenzen nachdenken konnte, war Johannes hinter den beiden her und krähte mit seiner Stimmbruch-Stimme so laut, dass es übers Treppenhaus in alle Klassenzimmer gellte: "Ja, isses schon wieder so weit? Ja, isses schon wieder so weit? Ja, isses schon wieder so weit?"
  Erst sollte Johannes in der Folge einen Direktoratsarrest wegen "Insubordination" bekommen. Doch wurde der ausgerechnet vom Direktor selbst abgeschmettert. Dann verschlechterten sich die Englisch-Noten von Charly und Johannes dramatisch. Das wiederum hinderte die beiden nicht daran zur Jahres-Abschluss-Feier die einschlägige Szene aus dem "Kaufmann von Venedig" in Shakespeares Original-Englisch darzubieten. Was ihnen "standing ovations" einbrachte.

Mittwoch, 13. März 2013

Minderheiten

Beim beflissenen Bildungsbürger lösen Minderheiten meist  eine gewisse Betroffenheit  und auch Beschützer-Instinkte aus. Aber zu einer Minderheit zu gehören, heißt ja nicht automatisch, dass man Unterdrückung oder Repressalien ausgesetzt ist.

Die Reichen und Super-Reichen Milliardäre dieser Erde, die noch nicht einmal ein Prozent der Weltbevölkerung ausmachen und doch gegen Ende dieses Jahres allein 25 Prozent deren Vermögens ihr eigen nennen werden, haben mit ihrer verschwindend kleinen aber stetig wachsenden Zahl sicher kein Problem. Minderheiten sind ja oft auch herrschende  Eliten...

In demokratisch geprägter Politik können Minderheiten sogar regieren oder durch Wahlen auch Mehrheiten werden. Wenn der Spitzenkandidat von der verschwindend kleinen Partei der Freien Demokraten beispielsweise am Wochenende behauptet, all die Segnungen der Regierungskoalition seien letztlich das Verdienst der FDP, kann er das unbeschadet tun, weil er zwar seine politische Heimat in absoluter Minderheit hat, aber im Bündnis eben ein Teil des Ganzen ist. CDU und CSU wären ohne die Gelb-Blauen eben auch eine Minderheit - zumindest im Parlament.

Dass  das gut so ist, zeigt das jüngste parlamentarische Negativ-Beispiel in Ungarn. Da hat die oppositionelle Minderheit einfach an der Verfassungsänderung nicht teilgenommen. Das war im Rückblick auf die eigene Geschichte allein schon der blanke Unsinn, denn schon einmal hat der Auszug der Minderheit Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg aus der Monarchie in ein frühfaschistisches Regime abgleiten lassen. 

Das könnte jetzt wieder drohen. Und kein Europäer darf in solcher Erkenntnis zum Tagesgeschäft übergehen. Wer eine Verfassung durch Änderung zur Ermächtigung missbraucht, sollte das auf keinen Fall  ohne Gegenstimmen tun können, damit vor der Geschichte später wenigstens ein Zeugnis anderen Denkens abgegeben wurde -. Klingelt's da bei manchen?

Die Wahlbeteiligungen bei uns deuten ja auch darauf hin, dass die einst schweigende Minderheit kontinuierlich auf dem Weg zur schweigenden Mehrheit (Silent Majority, USA) ist, was ja im Umkehrschluss die Gefahr herauf beschwört, dass Wähler in die Minderheit geraten könnten. Konstant unter 60prozentige Wahlbeteiligungen in Deutschand sind ein schrilles Alarm-Signal.

In solche "Freiräume" stoßen nämlich allsbald nur allzu gerne Minderheiten, die durch Terror und Einschüchterung stimmenlose Mehrheiten beherrschen wollen. Damit können sie Wahlen dann quasi unfrei machen(Beispiel Weißrussland). Niemand sollte deshalb freiwillig auf die Möglichkeit verzichten, seine Stimme zu erheben, so lange er dies noch ungehindert kann. Leider sterben ja die langsam aus, die darüber den Jüngeren berichten könnten. War das wohl für ein Horror in jenen Zeiten...

Nach den jüngsten Statistiken der Landeshauptstadt gehöre ich übrigens jetzt auch zu einer Minderheit. Der Stadtteil, in dem das Glashaus steht und in dem wir mit zunehmender Begeisterung wohnen, weist nämlich mittlerweile über 67 Prozent Einwohner mit so genanntem Migrationshintergrund aus. Griechen, Türken und Russen sind am zahlreichsten vertreten, so dass sich letztendlich auch wieder eine Parität mit den "Einheimischen" ergibt. 

Das einheimisch habe ich übrigens in Anführungszeichen gesetzt, seit uns im Bürgerhaus ein Beamter betreut, der sein langes schwarzes Haar zum Zopf gebunden hat und reichlich Goldschmuck  trägt. Die Kleinigkeit von vier Üs in seinem Namen, weist auf eine türkische Abstammung hin, sein edles Bayrisch aber auf einen "gstandnen" Münchner. Wir sind eben absolut multikulti hier, und so gesehen ist keiner von uns in der Minderheit.

Samstag, 9. März 2013

Frühlings Erwachen

Nach acht grauen Winter-Wochen mit kaum mehr als 20 Sonnenstunden insgesamt habe ich vor ein paar Tagen meinen Drahtesel aus dem Fahrrad-Keller des Glashauses geholt. Neun Grad Mittagstemperatur bei konstantem Sonnenschein kommen einem da schon wie Frühlingsanfang vor. Leider ist der mir gründlich verdorben worden.

Bei meiner Radel-Therapie muss ich wegen meines Vorhofflimmerns drauf achten, dass die Dauerbelastung nach Möglichkeit nicht allzu oft durch rote Ampeln unterbrochen wird. Dem entsprechend suche ich mir diverse Runden abseits des Verkehrs aus. Beispielsweise meine Runde um den Englischen Garten. Bis dahin sind es nur vier Ampeln, die so weit zu sehen sind, dass man eine "Grüne Welle" durch Beschleunigung oder Bremsen erzielen kann. Alle Radwege waren frei. - Wenn man von den Fußgängern einmal absieht, die in diesen Tagen lieber auf dem von Radlern frei gefahrenen Asphalt gehen, als auf den mit Rollsplit übersäten Bürgersteigen. Im Englischen Garten wird natürlich nicht gestreut und nicht geräumt. Deshalb konnte ich auch die geplante Runde nicht antreten, weil die kurze Zeit des Tauwetters die fest getretene Schneeschicht nur zu einem glitschig glatten, halb gematschten Parcours deformiert hatte. Absolut unbefahrbar!

Um nicht unverrichteter Dinge umzukehren, rollte ich dann auf den Sträßchen entlang des Englischen Gartens Richtung Innenstadt. Die meisten Einbahnstraßen sind da für Radler in beiden Richtungen zu befahren, und Ampeln gibt es auch keine. München sieht sich ja als Radfahrer-Hochburg, obwohl hier auch der Begriff der "Radel Rambos" für die rücksichtslos alle Verkehrsregeln missachtenden  Zweirad-Desperados erfunden wurde... Ich zählte mich bislang ausdrücklich nicht dazu, obwohl mich die weiteren Ereignisse diese Ausflugs eines Besseren belehren sollten.

Weil es langsam an der Zeit war umzukehren, bog ich von der Königin-Straße in Richtung Uni ab, um am Professor-Huber-Platz über die Leopold-Straße heim zu trudeln. Auch auf der Leopoldstraße kann der voraussichtige Radler ja eine "Grüne Welle" erzeugen. - Dachte ich. 

Als ich auf den Universitätsplatz einbog, sah ich, dass die Radfahrer/Fußgänger-Ampel bei der kleinen Schackstraße bereits rot war. Als ich den Bogen fertig gefahren hatte, stand sie immer noch auf rot, ohne dass auch nur ein Fahrzeug in diese Einbahnstraße am Siegestor eingebogen wäre. Wieso habe die da überhaupt eine Ampel? Das Abbiegen könnte sich mit einem Zebrastreifen und der Vorfahrtsregel für Radfahrer selbst regeln wie auch  an Hunderten anderer Kreuzungen in München.

Es gelang mir nicht, meine Fahrt bis zur Grünphase weiter  zu verzögern. Ich rollte also über Rot. War ja sowieso niemand da, den ich dadurch stören würde. - Dachte ich.

150 Meter hinter dem Siegestor stand in der Bucht, die durch die Verjüngung der Leopoldstraßen entsteht, eine grüne Minna mit nicht weniger als sechs Polizistinnen und Polizisten im Einsatz - wenn man Nummer sieben außer Acht ließ, der in Zivil und Sprechfunk ausgestattet eben vorne verborgen an der Ampel stand und die Delinquenten ankündigte.

Mein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung war unstreitig. Mehr als zwei Jahrzehnte habe ich in Deutschland weder ein Knöllchen noch einen Punkt in Flensburg bekommen. Nun wurde ich mit 100 Euro zur Kasse gebeten, weil ich in eine fiese Falle gerollt war. Beim anstehenden Vorlesungschluss würden vermutlich Dutzende Studenten meinem schlechten Beispiel folgen. Nur, dass die die 100 Euro Buße noch härter treffen würde.

Der Polizei-Meister,der meinen Fall aktenkundig machte, war von erlesener Höflichkeit. Deshalb suchte auch ich als explosiv geladener Wutbürger nach erlesenen Vokabeln, um diese hinterhältige Geldschneiderei nicht als hinterfotzige Sauerei zu bezeichnen.

"Es geht doch gar nicht ums Geld", meinte der Ordnungshüter, "sondern darum, gleich zu Beginn der Rad-Saison auf höhere Anweisung erzieherisch einzuwirken..."

Das mit der höheren Anweisung erzeugte bei mir gleich  ein perfides Bild. Ich sah eine Troika aus einem schief grinsenden Landesvater, seinem Finanzminister-Rambo und dem pomadigen Innenminister, wie sie - ihren Ärger über die ihnen aufgezwungene Abschaffung der Studiengebühren kompensierend - sich diese Maßnahme ausgedacht haben, um doch noch zumindest an einen Teil des Geldes der Studenten zu kommen...

Mittwoch, 6. März 2013

Let's Talk About Sex Baby!

Die Kroatin Milena betreibt ihren Friseur-Salon direkt um die Ecke vom Glashaus. Seit sich mir diese Bequemlichkeit bietet, gehe ich als Friseur-Muffel öfter zum Haarschneiden als früher. Was irgendwie paradox ist, weil mein eisgrauer Pelz ja immer löchriger wird. Ich könnte auch behaupten, das läge an Milenas konkurrenzlos günstigen Preisen, aber das wäre eine Beschönigung der Tatsache, dass ihr Anblick mich irgendwie positiv befangen macht:

Milena ist schon gut in den 40ern unterwegs, gertenschlank und trägt ihre blond gefärbten Haare quasi als Marketing in einem dieser neuen Schnitte, bei der die eine Seite vom Scheitel runter nahezu kahl geschoren ist, während die andere Hälfte lang und ungebändigt aussieht. Sie ist nicht unbedingt eine Schönheit, aber ein Hingucker, und das weiß sie auch. Wie viele ihrer slawischen Schwestern hat sie das Talent ihre Weiblichkeit ausgereizt bis hart an die Grenzen des Schicklichen  zu präsentieren. Kein Wunder also, dass viele ihrer Kunden männlich sind, obwohl sie ihre Reputation über die Stadtteilgrenzen hinaus durch ihre Aufsehen erregenden Braut-Frisuren errungen hat...

Die wären an den Wänden auf großformatigen Fotos zu bestaunen, wenn - ja wenn - Milena nicht alles dafür täte die volle Aufmerksamkeit auf sich zu lenken: Mal hat sie einen Schal-Pulli an, der so weit geschnitten ist, dass er ihr beim Schneiden weit von der Schulter rutscht, mal ist es es ein Chiffon-Teil mit Ärmelausschnitten, die weite aber nicht zu weite Einblicke gewähren...

Es läge also nahe, dass sie damit in erster Line auf alte Schwerenöter wie mich wirken will, aber mittlerweile weiß ich, dass sie gar nicht in solche Richtungen denkt. Sie macht präzise Termine und holt sich nur Verstärkung durch Aushilfen, wenn sie Überschneidungen gar nicht mehr vermeiden kann.

Da ich immer ein wenig zu früh dran bin (weshalb eigentlich?) habe ich mittlerweile ein schönes Kundenspektrum von ihr: Da sitzt schon mal eine streng mit Kopftuch eingebundene Muslima, um dabei zuzuschauen, wie Milena ihrem Sohn einen Irokesen-Punk in den Schädel rasiert. Überhaupt war ich überrascht, dass auch eher fundamentalistisch anmutende Nachbarn sich dieser weiblichen Pracht auf Tuchfühlung nähern, während ihre in graue Ganzkörper-Umhänge gehüllten Frauen eifrig in den ausgelegten Mode-Zeitschriften blättern. Und - das muss ich zu meiner Ehren-Rettung sagen - ich bin nicht der einzige "Graue Panter", der sich der Dienste von Milena versichert: Sie schneidet schnell und gut, und ist dabei keine Klatsch-Tante sondern auch kenntnisreiche, gevivte und mehrsprachige Unterhalterin.

Von Mal zu Mal erfahren wir mehr Dinge voneinander, was in Bezug auf ihr Leben im krassen Widerspruch zu ihrem Erscheinungsbild und möglicherweise mit ihnen verbundenen Unterstellungen steht. 

Sie ist praktizierende Katholikin und Mutter eines fast erwachsenen Sohnes, der mit der Firmung deshalb so spät dran war, weil ihn die sehr aktive und strenge Kroatische Gemeinde Münchens im Vorbereitungsunterricht schlicht überforderte. Dazu hatte der in Deutschland Geborene einfach nicht ausreichende Kenntnisse seiner Muttersprache. Also wurde er kurzerhand in der Gemeinde "deutsch" gefirmt, in der Milena wohnt. Obwohl in der Nähe von Split zwei Häuser - eines am Meer, eines in den Bergen - auf sie warten, sieht Milena ihre Heimat allenfalls als Urlaubsland. Sie ist längst so integriert, dass sie für immer in Deutschland bleiben will.

Irgendwann - wenn wir uns noch besser kennen - werde ich ihr gestehen, dass ich  immer - wenn sie mir beim Bartschneiden ganz besonders nahe kommt - an einen meiner Lieblingsfilme aus dem Jahre 1990 denken muss:

"Der Mann der Friseuse" von Patrice Leconte mit Jean Rochefort und Anna Galiena in den Hauptrollen. Er wird Heutzutage im Internethandel als Drama Angeboten ist aber in Wirklichkeit eine herrliche Satire auf die sexuellen Phantasien der Männer. Drama aber vielleicht deswegen, weil die Handlung mit der absurden Vorstellung spielt, Friseusen seien so unglücklich, dass sie unweigerlich Selbstmord begehen müssten...

Was ich Milena nicht erzählen werde, ist die Tatsache, dass einer meiner Freunde diesen Film stets seinen neuen Flammen vorgespielt hatte, um ihre Reaktionen darauf heraus zu finden. Die, die diesen aus sehr männlicher Sicht erzählten Film toll fanden, landeten ziemlich schnell und wohl auch befriedigend in seinem Bett. Geheiratet hat er allerdings eine Frau, die diesen Film für Blödsinn hielt.

Seine Ehe hält bereits mehr als 20 Jahre, und Milena wirkt wirklich nicht so, als werde sie jemals den Freitod wählen.

Sonntag, 3. März 2013

Vor einer Götterdämmerung des Glaubens

Der Glaube versetzt Berge: Diese oft so dahin gesagte Floskel muss in Zeiten selbstmörderischen Bombenterrors unbedingt überdacht werden. Noch so ein Spruch ist: Wer's glaubt wird selig!
Die Katholische Kirche würde sich diese Art Glaube - also physische Kraft durchs Gebet und im unbedingten Gehorsam Erlangung von Seelenheil - für seine Schäfchen wünschen. Aber wenn selbst die den Glauben verlieren, die ihm gegenüber aufgeschlossen sind, dann wird es dringlich, den Glauben leichter zugänglich zu machen. 

Genau das wäre die Aufgabe des zurück getretenen Benedikt XVI gewesen, mit der er ein großer Papst hätte werden können.

Ganz sicher werde ich mich nicht in die Reihe jener stellen, die sein Pontifikat nun rückblickend gewichten wollen. Das steht mir als Agnostiker gar nicht zu, und dazu reicht mein Wissen auch nicht. Aber ich werde immer noch umgetrieben von dem, was er in der Heiligen Nacht wenige Tage vor der Ankündigung seines so Aufsehen erregenden Rücktritts zum Ausdruck gebracht hat. Dass nämlich die übersteigerte Interpretation von Glaubensinhalten immer wieder zu Ausbrüchen der Gewalt führte...

Ganz sicher hat er dabei weniger an die Gräuel-Taten in der katholischen Kirchengeschichte gedacht, weder Kreuzzüge, Inquisition, Autodafes, Exorzismus oder den gerade wieder aufkeimenden Konflikt auf der irischen  Insel gemeint, sondern wollte wohl eher auf den arabischen Frühling mit seinen islamistischen Konfrontationen verweisen. 

Da bin ich ihm wohl erst einmal flüchtig auf den Leim gegangen und hatte ihm zunächst Altersmilde unterstellt. Auch wenn er angeschlagen war, der "Ratzi" hat auch im Abgang seiner Worte kein zufälliges "Geschmäckle" hinterlassen. "Congregatio Romanae et universalis Inquisitionis" - so der offizielle Titel der Glaubenskongregation, der  der Kardinal Ratzinger vorstand, bevor er zum Papst gewählt wurde, ist eine Institution, die in der weltlichen Politik die Zentrale für Dialektik und Doktrin wäre; die die Lehre - mag sie noch so revisionsbedürftig sein - erbittert verteidigt und Strategien entwickelt um Reformatoren um jeden Preis abzuhalten. Der protestantische Münchner Theologe Friedrich Wilhelm Graf unterstellt in einem Beitrag für die Süddeutschen Zeitung vom 1. März 2013 sogar, Benedikt XVI hätte sein Papstamt einem Denken unterworfen, das der Theologe Joseph Ratzinger entwickelt habe.

Ich interpretiere das so, dass der Papst also gar keine Chance gehabt hätte, sich aus diesem Korsett seines eigenen Starrsinns zu befreien, um Brücken zu anderen Religionen oder zu anders denkenden Menschen der Gegenwart zu bauen. Dem hoch intelligenten Kirchen-Wissenschaftler muss man aus meiner Sicht deshalb wahrlich in der Rolle eines Chef-Ideologen sehen, wie sie Gott sei Dank (!?) mit dem real existiert habenden Kommunismus untergegangen sind.

Historisch gesehen kann man allen Chef-Ideologen jedoch ein infinitesimales Verhältnis zum Fundament ihres Denkens unterstellen. Ein Fundament, das gar nicht mal auf Wahrheit beruhen musste - Hauptsache die felsenfeste Überzeugung, die dem Volk mitunter sogar eingebleut werden musste, war nur bedrohlich genug.

Martin Heidegger hatte dieser Art Gleichschalterei und Unterdrückung des Individuums  durch Kommunisten und Faschistenn schon in den unruhigen 1920ern seine Überlegungen über das "Man" entgegen gehalten (Man nehme! Man mache! Man denke! etc.). Dem Kirchen-Historiker Ratzinger hätte es gut angestanden sich mit derartigen Gedanken auseinander zu setzen. Dann hätte er als Papst Benedikt XVI einen seiner ebenso einseitig denkenden Vorgänger, nämlich Pius XII, niemals selig sprechen dürfen. Der hatte wider besseren Wissens zum Faschismus und dem Holocaust geschwiegen.