Donnerstag, 17. Januar 2013

Pazifismus in der Zwickmühle

Als ich Ende der 1960er den Kriegsdienst verweigerte, musste ich nicht nur eine ausführliche schriftliche Begründung für meinen Schritt einreichen, sondern auch vor einer Kommission erscheinen, die mein Gewissen zu prüfen hatte. Das Kreiswehrersatzamt ging nämlich überwiegend davon aus, dass Verweigerer Drückeberger waren. Hätte einer aus der Kommission, das erlebt, was ich dann später im Ersatzdienst erleben musste, wäre ihnen diese Verdächtigung sicher absurd vorgekommen.

Heute gibt es keine Wehrpflicht mehr, und das klare Feinbild von einst ist durch den Fall der Mauer und das Scheitern  des real existierenden Kommunismus irgendwie diffus geworden oder ganz abhanden gekommen. Dabei ist die Bundeswehr mindestens an vier Fronten entgegen ihrer verfassungsgemäßen Bestimmung zur Verteidigung - im Kriegseinsatz.

Der vor kurzem verstorbene Ex-Verteidigungsminister Peter Struck hat eingedenk dieser Diskrepanz den Afghanistan-Einsatz Deutscher Soldaten mit dem epochalen Satz ummäntelt, dass unsere Freiheit ja am Hindukusch verteidigt werde. Dass die Grünen in der damaligen Regierungskoalition, diesem Kriegseinsatz zustimmen mussten, obwohl sie zuvor ja Teil der Friedensbewegung waren, bestätigt meine mittlerweile endgültig gewonnene historische Erkenntnis, dass Pazifismus und Politik auf keinen Fall zusammen passen. Dass wer Pazifist sein will, sich sogar gar nicht erst auf Politik einlassen darf. Was damals im übrigen auch meine Argumentationsführung vor dem Ausschuss war.

Leider hatte ich damals noch nicht das ausreichende geschichtliche Wissen, um meine These zu untermauern, dass Pazifismus nur eine ganz persönliche und allenfalls Beispiel gebende Einstellung sein kann.

Ein Prüfer damals beschwor sogar das Szenario des für 6 Oscars nominierten Civilwar-Epos "Lockende Versuchung" mit Gary Cooper, um mich zu verunsichern. Die Älteren unter den Lesern dieses Blogs werden sich vielleicht noch daran erinnern, dass in diesem Film von William Wyler die der Gewalt abschwörende Quaker-Familie in Glaubens- und Gewissenskonflikte gerät, als die Südstaatler auf ihre Farm vordringen. Das war gute Fiction.

Doch offenbart auch die Real-Politik, dass nicht nur Joschka Fischer als Außenminister Standpunkte verraten musste.

Der Ur-Denker Deutscher Sozialdemokratie und Mitverfasser des "Erfurter Programmes" hatte ja die Lehren von Marx und Engels durch eigene, pazifistische Einlassungen derart in Richtung gewaltfreie Revolution getrimmt, dass ihn Lenin einige Jahrzehnte später noch als Revisionisten verteufelte. Karl Kautsky war zwar in jenem Moment nicht Mitglied des Parlaments aber er nickte die sozialdemokratische Zustimmung zu den Kriegsanleihen für den Russland-Feldzug im Ersten Weltkrieg ideologisch ab.

Übrigens konnte auch der Gewaltfreiheit vorlebende Mahatma Gandhi den verheerenden indisch-pakistanischen Konflikt nicht verhindern. Aber er starb - immerhin, ohne seine Standpunkte jemals zu verraten - eben als Opfer eines Attentates.

Vom Paulus zum Saulus werden - das ist es, was Pazifisten in der Politik gemeinhin erwartet. Anderes zu erhoffen, ist Illusion. Auch ich kann meinen pazifistischen Standpunkt ja nur beibehalten, weil ich in der glücklichen historischen Situation bin, dass mir keiner eine Pistole auf die Brust setzt, ihm abzuschwören.

Wer erstmal begriffen hat, dass sich die Geschichte - wenn auch in sich ändernden Rahmenbedingungen - turnusmäßig wiederholt, und sich dabei in eben solcher Regelmäßigkeit die menschliche Unfähigkeit offenbart, aus ihr zu lernen, wird kaum unter den ersten Steinewerfern sein.

Klar ist, dass das gewaltsame Einmischen in Vorgänge des sogenannten Arabischen Frühlings nichts bringt, weil erstrangig Takfiri, Islam-Brüder und Salafisten nachrücken, die nicht weniger faschistoid und bereit sind,  das Volk zu unterdrücken - wie das Beispiel Ägyptens zeigt. Aber nur Zusehen könnte rund ums Mittelmeer und weit hinein nach Afrika allgemeine Zustände schaffen, wie sie die Weltpolitik seinerzeit im Iran gerne verhindert hätte. 

Es ist aber müssig darüber nachzudenken, ob die Welt anders geworden wäre, hätte das Deutsche Kaiserreich Lenin nicht den Transit per Zug erlaubt und ihn danach auch noch mit Hundertausenden von Reichsmark unterstützt. Wäre die Entwicklung im Iran weniger brutal verlaufen, hätten die Dienste die Absichten des Ayatollah Khomeini im Pariser Exil richtig entschlüsselt, anstatt ihn als Unheilsbringer zu exportieren?

Bei der Frage, ob die Franzosen in Mali zu recht militärisch eingreifen, gerate ich als Pazifist ziemlich in die Zwickmühle, denn ich sehe anderen Falles einen immer enger werdenden Gürtel gewaltbereiter, fundamentalistisch islamistischer Nationen, der von Mauretanien bis hin zum philippinischen Archipel reicht, und in dessen Zentrum vielleicht bald die von radikalen Muslimen beherrschte Atom-Macht Pakistan steht...

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