Samstag, 12. Januar 2013

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben

Da denkt der Blogger in seinem Glashaus gerade darüber nach, dass er den nächsten Post auch gut morgen schreiben könnte und  lieber die vor der Glasfront herabfallenden Schneeflocken zählt, da gibt es auch schon  wieder Wissenschaftler, die ihn mit ihrer Forschung aufscheuchend schubladisieren: 

Die Süddeutsche Zeitung widmet dieser schrecklichen Charakter-Eigenschaft in ihrem heutigen Wochenende-Teil einen sehr lesenswerten Artikel, der mich gleich veranlasst hat, nun doch jetzt sofort und ohne weiteren Aufschub zu posten. 

Innerlich protestiere ich natürlich dagegen, dass ich nach neuesten Erkenntnissen zu den 20 Prozent Prokrastinierern gehören soll. Hätte die Süddeutsche den Artikel nicht auf Montag verschieben können, anstatt den Verfasser permanent an seine Deadline für die heutige Ausgabe zu erinnern? Montag bis Donnerstag lese ich nämlich das beliebte Boulevardblatt Abendzeitung, dessen Artikel so kurz sind, dass man ihre Lektüre nicht auf die lange Bank schieben muss. Wer liest schon gerne die Wahrheit über sein Fehlverhalten?

Es ist klar, dass dieser Artikel und die Forschungsergebnisse explizit nicht auf den Berufsstand eingehen, der die Prokrastination jetzt gerade nicht nur modisch kolportiert,, sondern  dabei krass auch noch unterschlägt, dass er dieses Arbeitsverhalten quasi erfunden und institutionalisiert hat: der Journalismus.

Als ich noch mein Redaktionsbüro betrieb, gab es bei der Konferenz am Montag jedesmal den Leitsatz des Prokrastinierens zu hören - ohne dass wir freilich damals wussten, dass es dafür auch einen Fachausdruck gab. Das hätte den Äußerungen  eine gewisse General-Absolution gegeben:

Auf meine Frage an die Redakteure, was mit diesem oder jenem Beitrag sei, bekam ich unisono die Antwort:
"Der Artikel ist fertig, er muss nur noch geschrieben werden..."

Richtig böse aber konnte ich trotz des stets drängenden Redaktionsschlusses meinen Mitarbeitern nie sein. War ich doch selbst als Autor einer gewesen, der Buch- und Reportagen-Manuskripte mit wenigen Ausnahmen meist  auf den letzten Drücker ablieferte. Dass sich durch den enormen Druck der letzten Nacht eine Qualitätsverbesserung einstellte, wie ich mir zur Entschuldigung einredete, würde ich rückblickend ins Reich der Fabel verweisen. 

Die aktuelle Forschung beweist, dass ich unwissentlich ein ganz ganz  großer Prokrastinierer vor dem Herrn war. Und das Schrecklichste an dieser Erkenntnis ist, dass ich das genetisch an meinen Sohn weiter gegeben habe, der diesen im Aussterben begriffenen Beruf  leider  auch erwählt hat.

Als er zwischen den Jahren der Ferien halber auf der Burg war, und seine Arbeit sogar noch Heiligabend via Internet vormittags ins Format postete, meinte ich ungeduldig wartend, dass es für diese Art der krankhaft verzögerten Pflichterledigung doch einen wissenschaftlichen Begriff gäbe:

"Das nennt man Prokrastinieren", schoss der Nerd-Filius aus der Hüfte. Der Apple fällt eben nicht weit vom Laptop.

Für alle, die nicht lange davon lesen wollen, weil sie gerade Wichtigeres vor sich herschieben, hier eine einfache Video-Zusammenfassung zu diesem verachtenswerten Verhalten:

http://www.netzpiloten.de/2009/06/17/stop-motion-clip-fur-prokrastinierer/

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