In diesen Tagen vor 25 Jahren ist mein Vater gestorben. Seit einem Vierteljahrhundert kommuniziere ich dennoch beinahe täglich mit ihm, obwohl er ja nicht mehr da ist. Nein, nein ich rede nicht mit ihm, wie das Leute in Kitschfilmen mit den Grabsteinen ihrer Lieben tun. Ich gehe ja noch nicht einmal an sein Grab. Diese Kommunikation funktioniert als imaginärer Gedankenaustausch zu Sach-Themen. So wie wir es immer angesichts von Veränderungen und Ereignissen in Gesellschaft, Politik oder Sport getan haben. Es ging auch zu Lebzeiten von klein auf eigentlich zwischen uns nie um Persönliches - eher um Bestandsaufnahmen und Einschätzungen, was als nächstes auf die Menschheit wartet...
Passiert also etwas Einschneidendes, dann verspüre ich auch heute immer noch den Drang, mich spontan mit ihm auszutauschen und mache das dann auch. Das klingt vielleicht ein wenig gaga, funktioniert aber. Er hat ja bei seinem Tod im achtzigsten Lebensjahr als gebürtiger Berliner beispielsweise die Wiedervereinigung knapp verpasst, den elektronischen Boom mit Handys und Internet, aber auch unbegreifliche Kriege in Ländern, die wir einst gemeinsam bereist hatten. Um das klar zu stellen, ich glaube nicht, dass er aus irgendeinem Loch im Himmel auf uns herunterschaut. Wenn unser Dialog spirituell ist, dann dergestalt, dass ich meine Überlegungen an seinem Intellekt messe, der mich geprägt hat und deshalb immer noch in mir nachwirkt. Auf diesem Prüfstand komme ich zu meinen persönlichen Ergebnissen und Einschätzungen. Wie vermutlich mein Vater das am beherrschenden Geist seines Vaters getan hat... Heute ging mir beim Stöbern im Internet im wahrsten Sinne des Wortes der Hut hoch.
In der freien Internet-Enzyklopädie Wikipedia ist mein Großvater 1918 im letzten Jahr des Ersten Weltkrieges zu sehen, wie er als Presse-Chef der Reichskanzlei mit Max von Baden und Wilhelm von Radowitz zum Reichstag eilt. Trotz der revolutionären Stimmung in diesen Monaten, gehen die drei ohne Personenschutz aber mit Melonen des Typs Homburg auf den Köpfen gut behütet leicht erkennbar als Angehörige ihrer Klasse einher.
Da ich meinen Großvater nur ein einziges Mal in seiner Agonie auf dem Sterbebett zu Gesicht bekam, war ich, wenn ich etwas über ihn wissen wollte, auf die Schilderungen meines Vaters angewiesen, was stets in einem Exkurs in Deutscher Geschichte ausartete. Demnach war der Vater meines Vaters exakt der Typ Untertan, den Heinrich Mann in seinem berühmtesten Roman beschrieben hat: stets beflissen und korrekt der Obrigkeit folgend - gleich welcher Couleur. Die Phasen seines Werdegangs waren im Familien-Fotoalbum am besten anhand seiner Kopfbedeckungen nachzuvollziehen: als Major im Kriegspressestab des Kaisers in Uniform mit "Schaffnermütze", als Wirklicher Geheimer Legationsrat eben mit Melone und als dann glühender Anhänger von Reichspräsident Friedrich Ebert schon auch mal mit "sozialdemokratischer" Ballon-Mütze. Dass er sich als Siebzigjähriger dann auch noch die Nazi-Uniform anzog und sich so ablichten ließ, war für meinen Vater, der sich dem Widerstand zurechnete, die Tortur, die zum Bruch führte.
Komisch wie Kinder denken: Tatsächlich verknüpfte ich beim Heranwachsen deshalb, dass Kopfbedeckungen mit politischer Ausrichtung zu tun hatten. Mein anderer Großvater, ein Kölner so durch und durch, dass er sogar unbedingt einen Ford Taunus fahren musste und im Kölner Männer Gesangsverein sang, war ein fanatischer Anhänger von Konrad Adenauer. Er kaufte beim gleichen Hutmacher und ließ beim gleichen Schneider seine dreiteiligen Anzüge schneidern, bis er seinem Idol - bei ähnlicher Statur - glich wie ein Zwillingsbruder. Er lebt in seinen Hüten fort, denn noch heute ist seine umfangreiche Sammlung nobelster Kopfbedeckungen der Fundus für die Faschingskostüme unserer Familie...
Meine Tochter, seine Ur-Enkelin, ist allerdings vor Jahren ausgeschert, als sie vom Schüleraustausch in Russland mit einer kompletten Sowjet-Ausgehuniform zurückkehrte. Ein Geschenk des Nachbarn ihrer Gastfamilie. Sie sah darin hinreißende aus. Ihre Urgroßväter allerdings hätte bei diesem Anblick vermutlich der Schlag getroffen.
Heute, am Tag der Wahl in Niedersachsen wird man die Politiker-Kaste beim Vorfahren nicht mehr an Homburgs oder Melonen ausmachen können wie weiland noch Professor Ludwig Erhard. Selbst Obama sieht man ja eher mit Baseball-Mütze. Borsalinos, Melonen auch Hunphrey-Bogart-Hüte sind irgendwie aus der Mode gekommen. Rösler oder Gabriel mit Melone, Trittin oder Giesi mit Homburg - irgenwie wäre das lächerlich.
Es wäre aber auch in Zeiten des Personenschutzes und sportlich flacher Dienstlimousinen nicht praktisch. Und es ist für Politiker auch nicht mehr ungefährlich, zu Fuß zu gehen und dabei auch noch mit so einem Hut auf dem Kopf auf sich aufmerksam zu machen.
Ein Traditions-Hutmacher und Königlicher Hoflieferant hat hier in Münchens feiner Maximilianstraße gerade seinen Laden dicht machen müssen, weil er - von der Politiker-Kaste im Stich gelassen - mit seinen Edel-Filzen gegen Rapper-Kappen und Rasta-Strickmützen nicht länger anstinken konnte.
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