Dienstag, 22. Januar 2013

Der Krieg ist aus Philippe!!!

Ein kleiner literarischer Beitrag aus der Jugend des Bloggers zum Jubiläum der deutsch-französischen Freundschaft:


  Um einer Auseinandersetzung wegen der geschmissenen Schule so kurz vor den Feiertagen aus dem Weg zu gehen, schlich sich Johannes in einem Moment in sein Elternhaus, in dem alle ausgeflogen waren, nahm all sein Geld, packte ein paar Sachen und hinterließ ein paar kryptische Zeilen von wegen, er müsse nun seinen eigenen Weg finden und gehen. Ein traditionelles   Familien-Weihnachten im Anblick seiner tadellosen Schwestern wäre nicht zu ertragen gewesen.  Er hatte ja zum Glück die Adresse von Mariette, mit der er sich irgendwie weihnachtlich himmlische Stunden erhoffte.
  Zwei Tage später setzte ihn ein freundlicher Camionfahrer am Hafen von Roscoff ab. Das von bunten Häuschen umkränzte Hafenbecken leuchtete in der früh hereinbrechenden Dämmerung wie ein Gemälde von Utrillio. Die wegen der Ebbe auf Stelzen im Schlick stehenden Fischkutter wirkten zudem wie für den Weihnachtsbaum vorbereitete Spielzeuge. Johannes surfte auf einer Woge der Euphorie, denn er hatte noch all sein Geld. Jedem, der ihn als Tramper mitgenommen hatte, war die Geschichte von der so weit entfernten  Liebe zu Herzen gegangen. Bei den Fernlastern durfte er in der Fahrerkoje schlafen, und die PKW-Fahrer hatten ihn zu Kaffee, Zigaretten und Imbissen eingeladen.
  Mariettes Adresse in Roscoff zu finden, war nicht schwer. Aber die Überraschung, die er Mariette und sie ihm bereitete, war umso schwerer zu verkraften. Mariettes Zuhause war ein typisch bretonisches Häuschen mit zwei Kamin-Giebeln und einem Reetdach dazwischen, weiß getüncht und von einem schmucken Garten umgeben.  Das Kinderspielzeug, das überall herum lag und die besonders bunte Weihnachtsdekoration hätte ihn eigentlich warnen sollen. Als er den Messing-Türklopfer betätigte, drang er kaum durch das Kinder-Geschrei im Inneren. Dann machte erst ein kleiner Indianer auf, der offenbar von einem großen Indianer gejagt worden war. Als aber hinter dem großen Indianer eine schreckensbleiche Mariette in Zivil auftauchte und in einem lautlosen Schrei erstarrte, traf den liebestrunkenen Fahrensmann die Ernüchterung wie eine Riesenwelle am Strand. Madame hatte Familie.
  Es war dies die erste einer Reihe von Begegnungen, die Johannes mit den Ehemännern seiner Geliebten haben sollte. Aber er meisterte sie nach einer Schrecksekunde, die er  - schauspielerisch geschult wie bei einem Text-Hänger - hinter einer Sprachbarriere verbarg, ebenso souverän -... wie die letzte; mit dem Charme völlig vertrottelter Hilflosigkeit: Kein Hahnrei vermutet doch, dass sich ausgerechnet die eigene Frau mit einem solchen Trottel einlassen würde.
  Er sei ein Schüler von Madame gewesen, auf der Durchreise in die Weihnachtsferien zu seinen Tantchen in Lorient und wollte Mariette nur schnell einen Blumenstrauß für die tolle Note im Mündlichen vorbeigebracht haben, wo er schon mal in der Nähe gewesen sei - und so weiter...
  Es war sooo peinlich! Natürlich ließen sie ihn nicht auf dem Absatz kehrt machen. Erst gab es bretonische Weihnachtsplätzchen, später wurde eine Flasche Rotwein geöffnet und es gab den unvermeidlichen "Calva". Dann war es auch schon dunkel, und es erhob sich die Frage, wie er denn weiter reisen wolle. Er machte die klassische Bewegung mit dem Daumen und provozierte damit natürlich die unvermeidlichen Proteste bretonischer Gastfreundschaft. Leider könne er in ihrem zu kleinen Haus nicht bleiben, aber Mariettes Vater wohne ja alleine in seinem Haus am Hafen. Ein Anruf ein kurzes Hin und Her auf  unverständlichem Bretonisch. Papa freue sich. Und nach einem üppigen Abendessen mit noch mehr Rotwein und Calvados zur Verdauung verfrachtete Mariette Johannes in ihren R4 und fuhr ihn zum Hafen. Es gab keine Erläuterungen, keine Bekenntnisse, keine Ausflüchte. Zu ehebrecherisch routiniert war beider Vertuschung abgelaufen, als dass es jetzt einer Diskussion bedurft hätte. Aber kurz vor dem Ziel überraschte Mariette Johannes mit einer verblüffend guten Imitation von Edith Piaf: "Non, je ne regrette rien!" Sie zog ihn während der Fahrt an sich und verpasste ihm einen dicken französischen Tantenschmatz auf die Wange. Souverän das ganze und sehr erwachsen!
  Als Mariette Johannes mit ihrem Vater bekannt und sich wohl unendlich erleichtert davon gemacht hatte, nahm die Weihnachtsgeschichte ihren Fortgang, und zwar mit Reminiszenzen an die deutsche Weihnacht.
  Saout Philippe - Bretonen nennen ihren Familiennamen immer zuerst - war Fischer und im Krieg in Gefangenschaft in Deutschland gewesen. Vier Jahre! Und obwohl er immer noch leidlich Deutsch sprach, weil  er seine kürzlich verstorbene Frau von dem  sauerländischen Bauernhof mitgebracht hatte, auf dem er Zwangsarbeiter gewesen war, hatte der Krieg in seinem Kopf noch kein Ende gefunden. Da kam ihm der "sal Boche", der auch noch aussah wie ein SS-Mann gerade recht.
  Und Saout Philippe war noch eines. Er war ein Instinktmensch. So wie er auf den Bänken immer wieder Schwärme von Dorschen und Makrelen aufspürte, wenn andere leer ausgingen, so vermochten seine wie ein Echolot funktionierenden Menschensensoren Untiefen im Gewissen seiner Mitmenschen anzupeilen. So konfrontierte er Johannes nach weiteren Calvas brutal mit seiner Erkenntnis: "Wir Saouts stehen auf blondes Germanisches. Ich habe meine Kleine nur anzusehen brauchen, um zu wissen, dass sie die Finger nicht von Dir lassen konnte. Quel insult! Dass Du es wagst, hierher zu kommen!"
  Es wurde der 22. Dezember 1966 geschrieben, und am Hafen von Roscoff entbrannte die vermutlich letzte Schlacht des zweiten Weltkrieges zwischen einem zu allem entschlossenen zähen kleinen bretonischen Fischer und einem hünenhaften deutschen Jungmann, der keine Ahnung hatte, was er verteidigen sollte. Denn es gab für nichts eine Entschuldigung.
  Die schrecklich vorgeschädigte Leber von Johannes hatte noch nicht annähernd damit angefangen, die Melange aus Rotwein und Calva zu verarbeiten, als ihn Philippe wachrüttelte:
  "Für Kost und Logis muss gearbeitet werden! Wollen doch mal sehen, was unser arisches Herren-Söhnchen auf hoher See zu leisten vermag." Sprach's und warf ein  nach Fisch stinkendes Bündel Ölzeug auf das Bett. Johannes war erstaunt, dass es ihm ohne weiteres passte, denn er war mindestens doppelt so groß und schwer wie der bretonische Fischer.
  Das Glühen des Hafens bei seiner Ankunft war die entsprechende Wetterbotschaft gewesen. Während der Nachstunden hatte sich eine regenschwere Wetterfront aufgebaut, die dichte Strippen Wasser quer über den nahen Kai peitschte. Eine funzelige Straßenlaterne schwang wild hin und her und ließ eine Gestalt aufleuchten, die Johannes noch einmal um einen Kopf überragte und schwärzer war als die Dunkelheit: Roland St.Pierre vom Übersee-Departement La Reunion machte ein von der Fischerei-Genossenschaft arrangiertes Praktikum bei Saout und verzog das Gesicht zu einem höhnischen Grinsen, als ihn Philippe einweihte, dass Johannes mit hinausfahren würde. Das Ölzeug war wohl die Zweitgarnitur von Roland, und Johannes würde es brauchen. Denn auf ihn wartete nicht ein üblicher Fischkutter mit Ruderhaus und Kajüte unter Deck, sondern eine offene Barkasse mit Mittelmotor. Gut vierzehn Meter lang mit fast ovalem Rumpf und aus schweren Holzspanten- und Bohlen gefertigt. Ein Riesending, aber die Größe wurde sehr bald relativ. Die Hochtide war schon am Ablaufen und sog sie förmlich aus dem Hafen und der Bucht hinaus in den Atlantik. Sobald sie die Leuchtfeuer der Einfahrt hinter sich hatten, rannten ungeheuere Wellenberge auf sie zu. Johannes hatte noch nie zuvor solche riesigen Wellen gesehen. Die Barkasse schrumpfte auf das Nussschalen-Klischee, aber noch funktionierte ja der Verstand von Johannes. Die beiden würden ja wohl kaum ihr Leben riskieren, um einem teutonischen Rassistenschwein eine Lektion zu erteilen. Tatsächlich erwies sich die eigenartige Form des Rumpfes als Ideal. Die Barkasse ging nicht schnell im Ruder und auch der Diesel stampfte nur auf Fangfahrt gerade schnell genug,  dass sie die wie Wälle aufragenden Wogen stetig überglitten. Der Magen machte dabei allerdings einen Durchsacker nach dem anderen mit. Während Philippe seine Barkasse mit ruhiger Bestimmtheit auf Kurs hielt, weihte ihn Roland in die Fangtechnik mit den "Ligne" ein. Das waren rund zwanzig Meter lange Angelleinen mit einem Lotblei am Ende, die im Abstand von einem Meter mit Steghaken versehen waren. Statt mit Ködern bestückt, waren sie mit kleinen Bündeln roter oder weißer Hühnerfedern kaschiert. Es ging auf Makrelen.
  Johannes hatte nirgends einen Kompass ausmachen können, eine halbe Stunde waren die Leuchtfeuer schon verschwunden, und das Schwarz der Nacht war allenfalls mit ein paar Tupfern Deckweiß aufgepinselt worden,  um die schwarzen Wellenberge noch bedrohlicher heran rollen zu lassen. Bis dahin hatte Johannes gedacht, er sei absolut seefest, aber als er Roland dabei zusah, wie der seelenruhig ein erstes Frühstück aus hart gekochten Eiern, Sardinen und einem Bier zu sich nahm, spürte er erstmals eine aufkommende Übelkeit. Ihm war klar, dass die beiden es irgendwie darauf anlegten, ihn bis zum Erbrechen zu demütigen und deshalb bot er seine ganze Willenskraft gegen die beginnende Seekrankheit  auf.
  Welchem Instinkt oder welcher Eingebung Saout Philippe nach ungefähr einer Stunde folgte, würde Johannes immer ein Rätsel bleiben. Aber mit sichtlicher Anspannung schrie er auf einmal: "Leinen raus! Schnell!"
  Johannes war noch genug bei Verstand, um Roland den Vortritt auf Backbord zu lassen, um zu sehen was er machte. Roland, der ja etwas länger war als er, ging mit weit gespreizten Beinen etwas in die Knie, um sich unter dem Wulst der Bordwand einzuklemmen. Denn die Regel "eine Hand für das Boot und eine Hand für den Mann" konnte ja beim Makrelen-Fang nicht aufgehen. Die aufgeschossene "Ligne" in der Linken und das Lotblei mit der  Rechten im Halbschwung in Richtung Bug über das Süllbord, war bei diesem Wellengang ein bedrohlicher Ballanceakt. Oben wurde man hochgelupft unten zusammengestaucht - aber nur wenn Philippe die Wellen anstach. Da er aber über der unsichtbaren Bank auf einen großen Kreiskurs gegangen war, konnte man sich auf gar nichts einstellen. Die eigentliche Herausforderung waren jedoch die Bisse. Philippe musste die Barkasse hellseherisch mitten in einen gewaltigen Schwarm gesteuert haben. Denn sobald die "Ligne" querab eine Senkrechte erreicht hatten bissen mitunter Makrelen auf jeden Haken und zogen und zappelten wie silberne Blitze in die verschiedensten Richtungen. Je länger ihnen dazu Zeit gelassen wurde, desto schwerer war es, sie einzuholen. Und es waren große Makrelen jede mehr als ein Pfund, die meisten jedoch im Kilo-Bereich oder drüber. Mit dem Einholen der Langleine mussten sie vom Haken und in die Bottiche Mittschiffs. Die kleinen in den einen, die großen in den anderen. Aber naturgemäß wollten die Makrelen nicht. Das waren muskelbepackte Torpedos, die im Trockenkampf gegen den Haken einen Silberregen tausender kleiner Schuppen über ihre Häscher herab gehen ließen. Johannes zahlte von der ersten Leine an blutiges Lehrgeld, als sich Haken um Haken beim Losmachen der Fische in seine bloßen Hände bohrte. Nach dem zehnten Einholen waren seine Hände Hackfleisch, aber das archaische Jagdfieber sorgte nicht nur dafür,  dass er keine Schmerzen mehr empfand. - Auch die Seekrankheit war weg, die ihn anfangs, als er sich im schaukelnden Boot zu sehr auf die Haken konzentriert hatte, zu übermannen drohte. Nun war da nur noch Leidenschaft und Abenteuer - ein Fangrausch, der bis zum  Hellwerden anhielt. Als die Bisse langsam weniger wurden, hatte er auch wieder Zeit seine Blicke weiter ins Rund zu schicken. Einige hundert Meter achterlicher als querab war ein russischer Trawler mit beeindruckender Elektronik auf dem Dach zu ihnen aufgeschwommen. Johannes schätzte den Abstand von seiner Wasserlinie zur Radaranlage auf mindestens sieben Meter. Jedes Mal wenn ihre Barkasse auf dem Wellenkamm schwebte und der Trawler im Tal versank, konnten sie von oben in die Dachbestückung schauen. Das heißt, die Wellen waren mehr als zehn Meter hoch, aber sie schreckten ihn nicht mehr - ganz im Gegenteil - sie euphorisierten ihn. Saout Philippe schien, das zu bemerken, und sein Widerstand gegen den jungen Deutschen schien schwächer zu werden.
  Indem er mit dem stoppeligen Kinn zum Trawler hinwies, meinte er grummelnd: "Da sieh! Der Krieg endet nie! Vielleicht sind die Feinde ja nur heute andere?"
  Ja, die Welt befand sich immer noch im kalten Krieg. Johannes hatte von den russischen Spionage-Trawlern gehört und gelesen. Jetzt hatte er erstmals wirklich einen gesehen. Sie waren also außerhalb der Dreimeilenzone gewesen. Johannes war mächtig stolz, aber auch gelockert,  als er meinte: "Wenigstens haben Sie Ihnen nichts weggefischt - Patron."
  Ob wegen des Patrons oder aufgrund der Bemerkung; die beiden so unterschiedlichen Fischer brachen in schallendes Lachen aus, und Philippe lenkte den stumpfen Bug seiner braven Barkasse in eine Richtung, von der nur er wusste, dass hinter der Kimmung der Hafen von Roscoff liegen würde.
  Es war Kurz vor neun als sie bei Hightide die Barkasse an den Kai legten, auf der schon ein Kühlwagen eines Fischhändlers wartete, obwohl die Barkasse keinen Funk hatte. Im Rhythmus der Gezeiten ließen sich halt gut Berechnungen anstellen. Die fangschweren Fässer auf die Kaimauer und die mitgebrachte mobile Waage zu wuchten, machten Roland und der Assistent des Fischhändlers. Es stellte sich heraus, dass sie in zwei Stunden reiner  Fangzeit 360 Kilo Makrelen der ersten Güteklasse gefangen hatten.
  Mit den Worten "50 Prozent für das Boot, 25 Prozent für den Patron und 25 Prozent für die Equipage", drückte Philippe ihm - trotz höflicher Ablehnung - wenig später ein leicht fischelndes und Meerwasser schwitzendes Geldbündel in die Hand. "Aber das war das letzte Mal, dass Du die Mariette geritten hast", sagte der Fischer und sah mit einem anzüglichen Grinsen zum Heck seiner Barkasse. Und richtig, in der Dunkelheit hatte er nicht sehen können ob das Boot einen Namen trug. Jetzt blinkte er in schönen Messinglettern im Morgenlicht: M A R I E T T E - Roscoff/Breize. Nicht France oder Bretagne - nein, bretonisch Breize - man war ja bei Separatistens an Bord gewesen...
  Als Johannes sich erbot, die beiden Fischer zum Frühstück einzuladen, konterten die, dass mit einem, der das erste Mal im Schuppenregen auf den Bänken gewesen sei und nicht gekotzt habe, ein anderes Ritual begangen werde. Nach alter Sitte müsse das bei Madame Etoil begossen werden, meinte Philippe augenzwinkernd zu Roland. Nun gut, dann eben eine Bar.
  In einer kleinen Gasse in der zweiten Häuserreihe am Hafen landeten sie mit ihrem immer noch schwankenden Seebeinen vor einem Häuschen, dem von Mariette nicht unähnlich nur pinkfarben, und ob der rote Stern, der über der Eingangstür leuchtete, Weihnachtsdekoration war oder ein symbolischer Hinweis auf den Namen Etoil, sollte sich erst drinnen klären.
  Natürlich wusste Johannes bereits, was ein Bordell war, aber selbst wenn er schon in einem gewesen wäre, dieses Etablissement war als solches nicht zu erkennen. Es war typisch bürgerlich französisch eingerichtet. Ein wildes Durcheinander von Stilmöbeln und Errungenschaften moderner Unterhaltungselektronik, ein offener Kamin mit tiefen Sofas. Und selbst die Damen des Hauses hätten als Familienmitglieder in Negligees kurz nach dem Aufstehen durchgehen können.
  Madame Etoil eine reife Schönheit im Vollbesitz aller Unterstützung der Kosmetik und Miederwaren-Industrie hatte ihren "nom de guerre" übrigens der Tatsache zu verdanken, dass sie anstatt Cherie, oder Chouchou jedes Gegenüber mit dem verbalen Attribut Etoil ausstattete. So auch die die drei schwankenden Neuankömmlinge: "Non, non, mes étoils! Eure Schuppendinger lasst draußen und dann vite, vite unter die Dusche und ins Schaumbad!"
  Es war eine Wohltat, aber auch eine Kriegslist, denn Philippe wußte - trotz des wachsenden Respekts für Johannes - wie er ihn doch noch ins Reich der Gefallenen nötigen konnte. Die letzte Waffe hieß Pastisse statt Zähneputzen.
Das würde den vom Seegang gepeinigten Magen zwar zunächst beruhigen aber dann einen Zeitzünder-Rausch auslösen, der den Germanen endgültig fällen würde. Zwei der jungen Dinger, die Madame "mes jeunes filles" nannte, schienen nur auf Roland gewartet zu haben. Sie faselten etwas von Place de la Concorde und Siegessäule, was Johannes erst viel später kapierte. Er musste zunächst über Rolands Seeräubermärchen lachen, dass der Peterfisch (Saintpierre) seine Erfindung und jene Delikatesse folglich nach ihm benannt worden sei. Angesichts seiner Jugend fühlte sich Madame offenbar verpflichtet, sich persönlich Johannes zu widmen, so dass ihm entging, ob Philippe ein braver Witwer blieb.
  Es war schon gegen Mittagszeit und ein halbes Dutzend Pastisses auf nüchternen Magen später, als sie jedoch einträchtig nebeneinander vor Madame Etoils Etablissement traten und gleichzeitig von der kalten frischen Luft niedergehämmert wurden. Sie spürten das Pieksen von Madames zurückgeschnittenen Rosenbeeten nicht mehr und starrten verschwommen in den milchigen Winterhimmel.
  "Waffenstillstand?" fragte Philippe ächzend.
  "Der Krieg ist vorbei! Philippe! Wir haben Weihnachten!", antwortete Johannes.
  450 Franc betrug der Fanganteil den Saout Johannes ausgezahlt hatte. Damit konnte man damals noch ein Hotel in Paris und einen Heimflug von Orly zahlen, den der Bretone - sobald er nüchtern gewesen war - noch ergattert hatte. So kam es, dass Johannes am 24. vormittags in München/ Riem landete und einen wirklich erinnerungswerten Heiligabend im Kreise seiner Familie verbrachte.


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