Um
einer Auseinandersetzung wegen der geschmissenen Schule so kurz vor den
Feiertagen aus dem Weg zu gehen, schlich sich Johannes in einem Moment in sein
Elternhaus, in dem alle ausgeflogen waren, nahm all sein Geld, packte ein paar
Sachen und hinterließ ein paar kryptische Zeilen von wegen, er müsse nun seinen
eigenen Weg finden und gehen. Ein traditionelles Familien-Weihnachten im Anblick seiner
tadellosen Schwestern wäre nicht zu ertragen gewesen. Er hatte ja zum Glück die Adresse von
Mariette, mit der er sich irgendwie weihnachtlich himmlische Stunden erhoffte.
Zwei Tage später setzte ihn ein freundlicher
Camionfahrer am Hafen von Roscoff ab. Das von bunten Häuschen umkränzte
Hafenbecken leuchtete in der früh hereinbrechenden Dämmerung wie ein Gemälde
von Utrillio. Die wegen der Ebbe auf Stelzen im Schlick stehenden Fischkutter
wirkten zudem wie für den Weihnachtsbaum vorbereitete Spielzeuge. Johannes
surfte auf einer Woge der Euphorie, denn er hatte noch all sein Geld. Jedem,
der ihn als Tramper mitgenommen hatte, war die Geschichte von der so weit
entfernten Liebe zu Herzen gegangen. Bei
den Fernlastern durfte er in der Fahrerkoje schlafen, und die PKW-Fahrer hatten
ihn zu Kaffee, Zigaretten und Imbissen eingeladen.
Mariettes Adresse in Roscoff zu finden, war
nicht schwer. Aber die Überraschung, die er Mariette und sie ihm bereitete, war
umso schwerer zu verkraften. Mariettes Zuhause war ein typisch bretonisches
Häuschen mit zwei Kamin-Giebeln und einem Reetdach dazwischen, weiß getüncht
und von einem schmucken Garten umgeben.
Das Kinderspielzeug, das überall herum lag und die besonders bunte
Weihnachtsdekoration hätte ihn eigentlich warnen sollen. Als er den Messing-Türklopfer
betätigte, drang er kaum durch das Kinder-Geschrei im Inneren. Dann machte erst
ein kleiner Indianer auf, der offenbar von einem großen Indianer gejagt worden
war. Als aber hinter dem großen Indianer eine schreckensbleiche Mariette in
Zivil auftauchte und in einem lautlosen Schrei erstarrte, traf den
liebestrunkenen Fahrensmann die Ernüchterung wie eine Riesenwelle am Strand.
Madame hatte Familie.
Es war dies die erste einer Reihe von
Begegnungen, die Johannes mit den Ehemännern seiner Geliebten haben sollte.
Aber er meisterte sie nach einer Schrecksekunde, die er - schauspielerisch geschult wie bei einem
Text-Hänger - hinter einer Sprachbarriere verbarg, ebenso souverän -... wie die
letzte; mit dem Charme völlig vertrottelter Hilflosigkeit: Kein Hahnrei
vermutet doch, dass sich ausgerechnet die eigene Frau mit einem solchen Trottel
einlassen würde.
Er sei ein Schüler von Madame gewesen, auf
der Durchreise in die Weihnachtsferien zu seinen Tantchen in Lorient und wollte
Mariette nur schnell einen Blumenstrauß für die tolle Note im Mündlichen
vorbeigebracht haben, wo er schon mal in der Nähe gewesen sei - und so
weiter...
Es war sooo peinlich! Natürlich ließen sie
ihn nicht auf dem Absatz kehrt machen. Erst gab es bretonische
Weihnachtsplätzchen, später wurde eine Flasche Rotwein geöffnet und es gab den
unvermeidlichen "Calva". Dann war es auch schon dunkel, und es erhob
sich die Frage, wie er denn weiter reisen wolle. Er machte die klassische
Bewegung mit dem Daumen und provozierte damit natürlich die unvermeidlichen
Proteste bretonischer Gastfreundschaft. Leider könne er in ihrem zu kleinen
Haus nicht bleiben, aber Mariettes Vater wohne ja alleine in seinem Haus am
Hafen. Ein Anruf ein kurzes Hin und Her auf
unverständlichem Bretonisch. Papa freue sich. Und nach einem üppigen
Abendessen mit noch mehr Rotwein und Calvados zur Verdauung verfrachtete
Mariette Johannes in ihren R4 und fuhr ihn zum Hafen. Es gab keine
Erläuterungen, keine Bekenntnisse, keine Ausflüchte. Zu ehebrecherisch
routiniert war beider Vertuschung abgelaufen, als dass es jetzt einer
Diskussion bedurft hätte. Aber kurz vor dem Ziel überraschte Mariette Johannes
mit einer verblüffend guten Imitation von Edith Piaf: "Non, je ne regrette
rien!" Sie zog ihn während der Fahrt an sich und verpasste ihm einen
dicken französischen Tantenschmatz auf die Wange. Souverän das ganze und sehr
erwachsen!
Als Mariette Johannes mit ihrem Vater bekannt
und sich wohl unendlich erleichtert davon gemacht hatte, nahm die
Weihnachtsgeschichte ihren Fortgang, und zwar mit Reminiszenzen an die deutsche
Weihnacht.
Saout Philippe - Bretonen nennen ihren
Familiennamen immer zuerst - war Fischer und im Krieg in Gefangenschaft in
Deutschland gewesen. Vier Jahre! Und obwohl er immer noch leidlich Deutsch
sprach, weil er seine kürzlich
verstorbene Frau von dem sauerländischen
Bauernhof mitgebracht hatte, auf dem er Zwangsarbeiter gewesen war, hatte der
Krieg in seinem Kopf noch kein Ende gefunden. Da kam ihm der "sal
Boche", der auch noch aussah wie ein SS-Mann gerade recht.
Und Saout Philippe war noch eines. Er war ein
Instinktmensch. So wie er auf den Bänken immer wieder Schwärme von Dorschen und
Makrelen aufspürte, wenn andere leer ausgingen, so vermochten seine wie ein
Echolot funktionierenden Menschensensoren Untiefen im Gewissen seiner
Mitmenschen anzupeilen. So konfrontierte er Johannes nach weiteren Calvas
brutal mit seiner Erkenntnis: "Wir Saouts stehen auf blondes Germanisches.
Ich habe meine Kleine nur anzusehen brauchen, um zu wissen, dass sie die Finger
nicht von Dir lassen konnte. Quel insult! Dass Du es wagst, hierher zu
kommen!"
Es wurde der 22. Dezember 1966 geschrieben,
und am Hafen von Roscoff entbrannte die vermutlich letzte Schlacht des zweiten
Weltkrieges zwischen einem zu allem entschlossenen zähen kleinen bretonischen
Fischer und einem hünenhaften deutschen Jungmann, der keine Ahnung hatte, was
er verteidigen sollte. Denn es gab für nichts eine Entschuldigung.
Die schrecklich vorgeschädigte Leber von
Johannes hatte noch nicht annähernd damit angefangen, die Melange aus Rotwein
und Calva zu verarbeiten, als ihn Philippe wachrüttelte:
"Für Kost und Logis muss gearbeitet
werden! Wollen doch mal sehen, was unser arisches Herren-Söhnchen auf hoher See
zu leisten vermag." Sprach's und warf ein
nach Fisch stinkendes Bündel Ölzeug auf das Bett. Johannes war erstaunt,
dass es ihm ohne weiteres passte, denn er war mindestens doppelt so groß und
schwer wie der bretonische Fischer.
Das Glühen des Hafens bei seiner Ankunft war
die entsprechende Wetterbotschaft gewesen. Während der Nachstunden hatte sich
eine regenschwere Wetterfront aufgebaut, die dichte Strippen Wasser quer über
den nahen Kai peitschte. Eine funzelige Straßenlaterne schwang wild hin und her
und ließ eine Gestalt aufleuchten, die Johannes noch einmal um einen Kopf
überragte und schwärzer war als die Dunkelheit: Roland St.Pierre vom
Übersee-Departement La Reunion machte ein von der Fischerei-Genossenschaft
arrangiertes Praktikum bei Saout und verzog das Gesicht zu einem höhnischen Grinsen,
als ihn Philippe einweihte, dass Johannes mit hinausfahren würde. Das Ölzeug
war wohl die Zweitgarnitur von Roland, und Johannes würde es brauchen. Denn auf
ihn wartete nicht ein üblicher Fischkutter mit Ruderhaus und Kajüte unter Deck,
sondern eine offene Barkasse mit Mittelmotor. Gut vierzehn Meter lang mit fast
ovalem Rumpf und aus schweren Holzspanten- und Bohlen gefertigt. Ein
Riesending, aber die Größe wurde sehr bald relativ. Die Hochtide war schon am
Ablaufen und sog sie förmlich aus dem Hafen und der Bucht hinaus in den
Atlantik. Sobald sie die Leuchtfeuer der Einfahrt hinter sich hatten, rannten
ungeheuere Wellenberge auf sie zu. Johannes hatte noch nie zuvor solche
riesigen Wellen gesehen. Die Barkasse schrumpfte auf das Nussschalen-Klischee,
aber noch funktionierte ja der Verstand von Johannes. Die beiden würden ja wohl
kaum ihr Leben riskieren, um einem teutonischen Rassistenschwein eine Lektion
zu erteilen. Tatsächlich erwies sich die eigenartige Form des Rumpfes als
Ideal. Die Barkasse ging nicht schnell im Ruder und auch der Diesel stampfte
nur auf Fangfahrt gerade schnell genug,
dass sie die wie Wälle aufragenden Wogen stetig überglitten. Der Magen
machte dabei allerdings einen Durchsacker nach dem anderen mit. Während
Philippe seine Barkasse mit ruhiger Bestimmtheit auf Kurs hielt, weihte ihn
Roland in die Fangtechnik mit den "Ligne" ein. Das waren rund zwanzig
Meter lange Angelleinen mit einem Lotblei am Ende, die im Abstand von einem
Meter mit Steghaken versehen waren. Statt mit Ködern bestückt, waren sie mit
kleinen Bündeln roter oder weißer Hühnerfedern kaschiert. Es ging auf Makrelen.
Johannes hatte nirgends einen Kompass
ausmachen können, eine halbe Stunde waren die Leuchtfeuer schon verschwunden,
und das Schwarz der Nacht war allenfalls mit ein paar Tupfern Deckweiß
aufgepinselt worden, um die schwarzen
Wellenberge noch bedrohlicher heran rollen zu lassen. Bis dahin hatte Johannes
gedacht, er sei absolut seefest, aber als er Roland dabei zusah, wie der
seelenruhig ein erstes Frühstück aus hart gekochten Eiern, Sardinen und einem
Bier zu sich nahm, spürte er erstmals eine aufkommende Übelkeit. Ihm war klar,
dass die beiden es irgendwie darauf anlegten, ihn bis zum Erbrechen zu
demütigen und deshalb bot er seine ganze Willenskraft gegen die beginnende
Seekrankheit auf.
Welchem Instinkt oder welcher Eingebung Saout
Philippe nach ungefähr einer Stunde folgte, würde Johannes immer ein Rätsel
bleiben. Aber mit sichtlicher Anspannung schrie er auf einmal: "Leinen
raus! Schnell!"
Johannes war noch genug bei Verstand, um
Roland den Vortritt auf Backbord zu lassen, um zu sehen was er machte. Roland,
der ja etwas länger war als er, ging mit weit gespreizten Beinen etwas in die
Knie, um sich unter dem Wulst der Bordwand einzuklemmen. Denn die Regel
"eine Hand für das Boot und eine Hand für den Mann" konnte ja beim
Makrelen-Fang nicht aufgehen. Die aufgeschossene "Ligne" in der
Linken und das Lotblei mit der Rechten
im Halbschwung in Richtung Bug über das Süllbord, war bei diesem Wellengang ein
bedrohlicher Ballanceakt. Oben wurde man hochgelupft unten zusammengestaucht -
aber nur wenn Philippe die Wellen anstach. Da er aber über der unsichtbaren
Bank auf einen großen Kreiskurs gegangen war, konnte man sich auf gar nichts
einstellen. Die eigentliche Herausforderung waren jedoch die Bisse. Philippe
musste die Barkasse hellseherisch mitten in einen gewaltigen Schwarm gesteuert
haben. Denn sobald die "Ligne" querab eine Senkrechte erreicht hatten
bissen mitunter Makrelen auf jeden Haken und zogen und zappelten wie silberne
Blitze in die verschiedensten Richtungen. Je länger ihnen dazu Zeit gelassen
wurde, desto schwerer war es, sie einzuholen. Und es waren große Makrelen jede
mehr als ein Pfund, die meisten jedoch im Kilo-Bereich oder drüber. Mit dem
Einholen der Langleine mussten sie vom Haken und in die Bottiche Mittschiffs.
Die kleinen in den einen, die großen in den anderen. Aber naturgemäß wollten
die Makrelen nicht. Das waren muskelbepackte Torpedos, die im Trockenkampf
gegen den Haken einen Silberregen tausender kleiner Schuppen über ihre Häscher
herab gehen ließen. Johannes zahlte von der ersten Leine an blutiges Lehrgeld,
als sich Haken um Haken beim Losmachen der Fische in seine bloßen Hände bohrte.
Nach dem zehnten Einholen waren seine Hände Hackfleisch, aber das archaische
Jagdfieber sorgte nicht nur dafür, dass
er keine Schmerzen mehr empfand. - Auch die Seekrankheit war weg, die ihn
anfangs, als er sich im schaukelnden Boot zu sehr auf die Haken konzentriert
hatte, zu übermannen drohte. Nun war da nur noch Leidenschaft und Abenteuer -
ein Fangrausch, der bis zum Hellwerden
anhielt. Als die Bisse langsam weniger wurden, hatte er auch wieder Zeit seine
Blicke weiter ins Rund zu schicken. Einige hundert Meter achterlicher als
querab war ein russischer Trawler mit beeindruckender Elektronik auf dem Dach
zu ihnen aufgeschwommen. Johannes schätzte den Abstand von seiner Wasserlinie
zur Radaranlage auf mindestens sieben Meter. Jedes Mal wenn ihre Barkasse auf
dem Wellenkamm schwebte und der Trawler im Tal versank, konnten sie von oben in
die Dachbestückung schauen. Das heißt, die Wellen waren mehr als zehn Meter
hoch, aber sie schreckten ihn nicht mehr - ganz im Gegenteil - sie
euphorisierten ihn. Saout Philippe schien, das zu bemerken, und sein Widerstand
gegen den jungen Deutschen schien schwächer zu werden.
Indem er mit dem stoppeligen Kinn zum Trawler
hinwies, meinte er grummelnd: "Da sieh! Der Krieg endet nie! Vielleicht
sind die Feinde ja nur heute andere?"
Ja, die Welt befand sich immer noch im kalten
Krieg. Johannes hatte von den russischen Spionage-Trawlern gehört und gelesen.
Jetzt hatte er erstmals wirklich einen gesehen. Sie waren also außerhalb der
Dreimeilenzone gewesen. Johannes war mächtig stolz, aber auch gelockert, als er meinte: "Wenigstens haben Sie
Ihnen nichts weggefischt - Patron."
Ob wegen des Patrons oder aufgrund der
Bemerkung; die beiden so unterschiedlichen Fischer brachen in schallendes
Lachen aus, und Philippe lenkte den stumpfen Bug seiner braven Barkasse in eine
Richtung, von der nur er wusste, dass hinter der Kimmung der Hafen von Roscoff
liegen würde.
Es war Kurz vor neun als sie bei Hightide die
Barkasse an den Kai legten, auf der schon ein Kühlwagen eines Fischhändlers
wartete, obwohl die Barkasse keinen Funk hatte. Im Rhythmus der Gezeiten ließen
sich halt gut Berechnungen anstellen. Die fangschweren Fässer auf die Kaimauer
und die mitgebrachte mobile Waage zu wuchten, machten Roland und der Assistent
des Fischhändlers. Es stellte sich heraus, dass sie in zwei Stunden reiner Fangzeit 360 Kilo Makrelen der ersten
Güteklasse gefangen hatten.
Mit den Worten "50 Prozent für das Boot,
25 Prozent für den Patron und 25 Prozent für die Equipage", drückte
Philippe ihm - trotz höflicher Ablehnung - wenig später ein leicht fischelndes
und Meerwasser schwitzendes Geldbündel in die Hand. "Aber das war das
letzte Mal, dass Du die Mariette geritten hast", sagte der Fischer und sah
mit einem anzüglichen Grinsen zum Heck seiner Barkasse. Und richtig, in der
Dunkelheit hatte er nicht sehen können ob das Boot einen Namen trug. Jetzt
blinkte er in schönen Messinglettern im Morgenlicht: M A R I E T T E -
Roscoff/Breize. Nicht France oder Bretagne - nein, bretonisch Breize - man war
ja bei Separatistens an Bord gewesen...
Als Johannes sich erbot, die beiden Fischer
zum Frühstück einzuladen, konterten die, dass mit einem, der das erste Mal im
Schuppenregen auf den Bänken gewesen sei und nicht gekotzt habe, ein anderes
Ritual begangen werde. Nach alter Sitte müsse das bei Madame Etoil begossen
werden, meinte Philippe augenzwinkernd zu Roland. Nun gut, dann eben eine Bar.
In einer kleinen Gasse in der zweiten
Häuserreihe am Hafen landeten sie mit ihrem immer noch schwankenden Seebeinen
vor einem Häuschen, dem von Mariette nicht unähnlich nur pinkfarben, und ob der
rote Stern, der über der Eingangstür leuchtete, Weihnachtsdekoration war oder
ein symbolischer Hinweis auf den Namen Etoil, sollte sich erst drinnen klären.
Natürlich wusste Johannes bereits, was ein
Bordell war, aber selbst wenn er schon in einem gewesen wäre, dieses
Etablissement war als solches nicht zu erkennen. Es war typisch bürgerlich
französisch eingerichtet. Ein wildes Durcheinander von Stilmöbeln und
Errungenschaften moderner Unterhaltungselektronik, ein offener Kamin mit tiefen
Sofas. Und selbst die Damen des Hauses hätten als Familienmitglieder in
Negligees kurz nach dem Aufstehen durchgehen können.
Madame Etoil eine reife Schönheit im
Vollbesitz aller Unterstützung der Kosmetik und Miederwaren-Industrie hatte
ihren "nom de guerre" übrigens der Tatsache zu verdanken, dass sie
anstatt Cherie, oder Chouchou jedes Gegenüber mit dem verbalen Attribut Etoil
ausstattete. So auch die die drei schwankenden Neuankömmlinge: "Non, non,
mes étoils! Eure Schuppendinger lasst draußen und dann vite, vite unter die
Dusche und ins Schaumbad!"
Es war eine Wohltat, aber auch eine
Kriegslist, denn Philippe wußte - trotz des wachsenden Respekts für Johannes -
wie er ihn doch noch ins Reich der Gefallenen nötigen konnte. Die letzte Waffe
hieß Pastisse statt Zähneputzen.
Das
würde den vom Seegang gepeinigten Magen zwar zunächst beruhigen aber dann einen
Zeitzünder-Rausch auslösen, der den Germanen endgültig fällen würde. Zwei der
jungen Dinger, die Madame "mes jeunes filles" nannte, schienen nur
auf Roland gewartet zu haben. Sie faselten etwas von Place de la Concorde und
Siegessäule, was Johannes erst viel später kapierte. Er musste zunächst über
Rolands Seeräubermärchen lachen, dass der Peterfisch (Saintpierre) seine Erfindung
und jene Delikatesse folglich nach ihm benannt worden sei. Angesichts seiner
Jugend fühlte sich Madame offenbar verpflichtet, sich persönlich Johannes zu
widmen, so dass ihm entging, ob Philippe ein braver Witwer blieb.
Es war schon gegen Mittagszeit und ein halbes
Dutzend Pastisses auf nüchternen Magen später, als sie jedoch einträchtig
nebeneinander vor Madame Etoils Etablissement traten und gleichzeitig von der
kalten frischen Luft niedergehämmert wurden. Sie spürten das Pieksen von
Madames zurückgeschnittenen Rosenbeeten nicht mehr und starrten verschwommen in
den milchigen Winterhimmel.
"Waffenstillstand?" fragte Philippe
ächzend.
"Der Krieg ist vorbei! Philippe! Wir
haben Weihnachten!", antwortete Johannes.
450 Franc betrug der Fanganteil den Saout
Johannes ausgezahlt hatte. Damit konnte man damals noch ein Hotel in Paris und
einen Heimflug von Orly zahlen, den der Bretone - sobald er nüchtern gewesen
war - noch ergattert hatte. So kam es, dass Johannes am 24. vormittags in
München/ Riem landete und einen wirklich erinnerungswerten Heiligabend im
Kreise seiner Familie verbrachte.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen