Dienstag, 23. Februar 2021

Die Krähen-Kreuzung





Seit einigen Tagen werde ich durch Tief-Flieger aufgeschreckt. Irgendetwas hat sie offenbar in meine Nähe getrieben, denn sie landen nach geschickten Bremsmanövern direkt über meinem Arbeitsplatz auf der Dachrinne, oder sie beäugen mich von unserem gläsernen Küchen-Erker aus. Wollen sie mich einschüchtern? Aber da sind sie auf dem "Luftweg", denn ich weiß nahezu alles über sie. Gewissermaßen habe ich sie studiert, seit ich denken kann. Ich liebe Romane, in denen sie Hauptrollen spielen oder düsterste Filme, die zu ihrem gruseligen Mythos beigetragen habe. Seit es das Internet gibt, halte ich mich über den aktuellen Stand der Forschung auf dem Laufenden:

Der neueste Stand: Laut einer Studie der University of Washington können Krähen eindeutig menschliche Gesichter erkennen. Sogar nach Jahren noch, wenn ihnen ein Mensch Böses angetan hat. Und das ist seit dem Mittelalter so, wo sie als Galgenvögel verschrien waren und als Boten der Finsternis. Zur Zeit der Hexen-Jagden reichte es, dass eine Krähe sich zu einer Frau gesellte, um jene der schwarzen Magie verdächtigt auf den Scheiterhaufen zu schaffen.
Krähen sind Allesfresser, die auch Toten Menschen zu Leibe rücken und sie versammeln sich gerne vielzählig auf sogenannten Krähenbäumen, was vor allem wohl an nebligen Wintertagen zum mythischen Begriff der Nebelkrähe geführt haben dürfte. Corvus coronus cornix  hat es in der Folge zu einer wegen ihres typisch grau abgesetzten Gefieders ornithologischen Unterart gebracht und ist zudem in den Katalog der deutschen Schimpfworte eingegangen. Du alte Nebel-Krähe du! Was auf mich zuträfe, denn ich bin eben ein alter und nutzloser Mann.

Aber  das erklär nicht, wieso sich die gemeine Saatkrähe  zuweilen auch  bei mir auf der Fensterbank niederlässt.. In den vergangenen Jahren waren die schwarzen Flattermänner brautwerbend allenfalls drei bis fünf, heuer sind es mehr als ein Dutzend. Dass sie die Tauben und Elstern in der Kälteperiode vertrieben haben, bedauere ich nicht, denn so hat unsere Meisen- und Amsel-Population die Chance, ihre Brut ungefährdet durchs Frühjahr zu bringen. Dennoch stellt sich mir bei der Beobachtung ihrer waghalsigen Flugmanöver die Frage: "Was wollen die hier?"

Die von der Streuung zurück gebliebenen Steinchen könnten sie, um die Verdauung in ihren Retorten-Mägen zu befeuern, andernorts in der Stadt viel ungefährdeter aufpicken als mitunter mitten auf unserer Kreuzung. Ahnen sie etwas davon, dass sich die Menschen hier im Lockdown befinden, oder wollen sie für ihre angestrebte Weltherrschaft Terrain gut machen? Während andere Singvögel (ja, Krähen gehören dazu) ums Überleben kämpfen, scheint ihre Schar jedenfalls urban immer  größer zu werden. Forscher halten die Intelligenz der Krähen für gleichrangig mit der der Delphine. Ihr Erinnerungsvermögen und ihre Kombinationsgabe machen sie jedoch möglicherweise  auch denen überlegen. 

Ich belausche zwar ihre Dialoge auf dem Wipfel des Haselbaums unter mir, aber ich werde nicht schlau daraus, nach welchem Muster sie weiterfliegen oder hocken bleiben, um sich auf zu pludern. Wieso decken sie ihren Rückzug stets mit einem Nachzügler?
Auf Kommando sind sie zur Mittagszeit kurz fort, kommen aber wieder, sobald die Sonne im Westen steht Ihr heiseres Krächzen übertönt dann sogar den anschwellenden Verkehrslärm. Vielleicht kommen sie ja auch nur, um mir im Lockdown die Zeit zu vertreiben. Was wahrlich von überragender Intelligenz zeugte...





















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