Donnerstag, 2. November 2017

Das Luther-Puzzle

Eines muss den Menschen protestantischen Glaubens nach diesem Feiertags-Marathon in Sachen Martin Luther klar sein: Gesichert sind nur die historischen Eckpfeiler seines Lebens. Zwischen ihnen wird nicht eindeutig klar, wes Geistes Kind er tatsächlich war. Weil selbst die besten Regisseure, Historiker und Analysten ohne den selbst erlebten Hintergrund jener Zeit, die charakterlichen Eigenschaften des Reformators nicht werten können. Quellen werden im Laufe der Zeit ja regelrecht verwässert.

Die Kirchen-Politikerin Margot Käßmann hat einige treffende Kommentare zu den gesicherten Erkenntnissen veröffentlicht, und auch Martin Luthers Antisemitismus nicht ausgespart. Man solle ihn nicht auf einen Sockel stellen, aber seine Leistungen im Hinblick auf Gleichberechtigung und Aufklärung anerkennen...

Der Spruch, dass hinter jedem mächtigen Mann eine starke Frau stünde, ist dennoch nicht ganz treffend, weil die Nonne Katharina von Bora ja erst die Ehe mit Luther einging, als er durch seine Standhaftigkeit und Argumentations-Kraft den Weg dazu bereitet hatte.

Als Sohn einer Katholikin und eines agnostischen Vaters wurde ich evangelisch getauft und verlor meinen Glauben in dem Moment, in dem ich konfirmiert wurde. Der Pfarrer, der das Ritual mit Abendmahl vollzog, war streng und wurde ein erfolgreicher Kirchen-Politiker. Ich habe bis heute nicht begriffen, wieso er mit dieser Ratio den ganzen Zauber nicht infrage stellen konnte.

Dennoch blieb mir von Luther einiges, für das ich ihm mein Leben lang dankbar bin: Das freie Aussprechen der Meinung, so lange ich die auch anderen ließ; vor allem den Frauen, denen ich begegnete - und das waren nicht nur starke. Überzeugungen nur dann zu ändern, wenn sich Argumente häuften, sie aufzugeben. Aber das wichtigste: Nicht vor Mächtigeren einzuknicken. Schon gar nicht, wenn es um die Verteidigung von Geschriebenem und Gedrucktem geht. Ohne den unbeugsamen Lucas Cranach d. Ä. wäre Luthers Reform gescheitert.

Das half mir sehr, als ich erfolgreich den Kriegsdienst verweigerte und später diversen Politikern auf Augenhöhe begegnete.

Was mir von 500 Jahren Reformation durch Luther am wichtigsten ist? Seine Fähigkeit, zu reformieren, ohne den revolutionären Auswüchsen mancher seiner Weggenossen zu erliegen.

In diesem Sinne möchte ich die Aufmerksamkeit auch auf Philipp Schwarzerdt lenken, der als Melanchthon sehr viel für Luther regelte (Evangelisches Glaubensbekenntnis Augsburg 1530), und dessen Würdigung für meinen Geschmack in diesem Jahr erheblich zu kurz kam.

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