Ist die Ungeduld eine Untugend, die mit dem Alter schwindet? Pustekuchen!
Man lernt nur, sie besser zu beherrschen. Und hinzu kommt die Erinnerung an all die Momente im Leben, in denen man aus Ungeduld schwere Fehler begangen oder gar sein Leben riskiert hat...
Aber tatsächlich wächst die Ungeduld, je näher das unvermeidliche Ende naht.
Am vergangenen Sonntag fand der München-Marathon statt. Wir waren bei der Tochter zum Frühstück eingeladen und sind mit Vorbedacht um die Innenstadt herum über den Ring angereist. Keine Probleme.
Auf der Rückfahrt warnte ich meine Frau, dass unser Weg nach Hause immer noch versperrt sein würde, und das Olympia-Gelände infolgedessen wieder weit umfahren werden müsse. Aber sie folgte stur irgendeinem Navi in ihren Gehirn und überhörte auch weiter Hinweise auf noch mögliche Ausweichmöglichkeiten. Je näher sie uns auf das unvermeidliche Chaos zusteuerte, desto wilder fuhr sie. Sie, die sonst die Vorsicht in Person ist, verhielt sich wie früher, als wir noch nicht all die Zeit hatten, die uns nun zur Verfügung steht.
"Was bist du denn so ungeduldig?"
"Ich mag einfach keine Zeit mehr verplempern", antwortete sie.
Letztlich brauchten wir eine Stunde entgegen der sonstigen Fahrzeit von 20 Minuten. Vor lauter Ungeduld machte sie mich verantwortlich, weil sie in ihrer eigenen Stadt komplett die Orientierung verloren hatte. Ich wisse doch schon seit unserer ersten gemeinsamen Reise, dass sie sich beim Fahren immer auf mich verlasse.
Das war 50 Jahre her: Nach einer Woche ohne Nachrichten im den Pyrenäen hatte ich eine deutsche Zeitung ergattert und begann zu lesen, nachdem ich ihr gesagt hatte, sie bräuchte nur den Schildern Richtung Bordeaux zu folgen. Als ich mit dem Wichtigsten durch war, schaute ich auf ein Schild, das nur noch wenige Kilometer bis Aix en Provence anzeigte...
Mea culpa, mea maxima culpa. Ich hätte es wissen müssen: Wie bei mir ist ihre Ungeduld nur durch die dünne Staubschicht des Verdrängens getarnt.
An unserer Kreuzung werden ständig Zögerliche vor der Ampel an gehupt, während Fußgänger sich bei Rot todesmutig über die Straßen stürzen, weil die Phasen für sie entnervend lang sind.
Mir fällt dabei öfter ein lesenswerter Roman von Stefan Zweig ein. Ein einmaliges Zeitbild aus dem Jahre 1939: Die Ungeduld des Herzens.
Drei Jahre später beging er, der jüdische Romancier, in seinem brasilianischen Exil, Rio de Janeiro, Selbstmord. Er hatte in seinem Paradies angelangt, nicht mehr die Geduld, auf das Ende seiner Weissagungen zu warten...
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