"Eli, Eli lema sabachtani!" Aus der altertümlichen "Weltsprache" Aramäisch übersetzt, lautet dieser Ruf der Verzweiflung: "Mein Gott, mein Gott - warum hast du mich verlassen." Es waren - so will es die Legende - die letzten Worte von Jesus Christus, der bis heute als zur Erlösung der Menschheit gesandte Sohn Gottes im Christentum verehrt wird. Bibelforscher und Religionswissenschaftler beißen sich seit jenem Freitag des Jahres 30 unserer Zeitrechnung an diesem Satz mehrdeutig die Zähne aus. Vermutlich auch, weil mittelalterliche Bibel-Abschriften, um die Widersprüchlichkeit lateinisch auszumerzen, ihn mit: "Vater, mein Vater warum hast du mich verlassen", transkribiert haben. Wieso hätte denn ein Sohn seinen Vater mit "Gott" anrufen sollen? Vor allem, wenn er doch Teil der Dreifaltigkeit ist!
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Foto: Claus Deutelmoser Barg die älteste Handschrift der Bibel: Das Katharinen-Kloster am Sinai |
Immer wieder frage ich mich verwundert, wieso ich mich als erklärter Agnostiker alle Jahre wieder derart mit den Tagen rund um Golgatha - also Ostern - beschäftige. Ich bin die Via Dolorosa in Jerusalem hinauf, und in vorweihnachtlichen Morgenstunden vom Gipfel des Moses-Berges auf der Sinai-Halbinsel zum Katharinen-Kloster hinab gestiegen. Ich durfte dort sogar die kostbare Nachschrift des "Codex Sinaiticus bestaunen"; jener ältesten Bibelabschrift, deren einzelne Original-Blätter ja heute auf der ganzen Welt verstreut in Museums-Archiven gelagert werden. Ich gestehe, immer hat mich bei solchen Anlässen ein heiliger Schauer erfasst. Aber als Reporter und Texter war mir auch klar, dass die "Heilige Schrift" wie beispielsweise auch Homers "Ilias" eine wahnsinnig gut aus Einzelgeschichten zusammen getragene Anthologie vieler Ursprünge ist.
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Foto: Claus Deutelmoser Dem Himmel so nah - auf dem Moses-Berg nahmen die Menschen ihre Zehn Gebote in Empfang |
Hätte ich solche Gedanken vor vier Jahrhunderten zu Papier gebracht, wäre ich vermutlich der Inquisition zum Opfer gefallen oder wäre zum Abschwören vorgeladen worden wie Martin Luther auf dem Reichstag in Worms 1521:
"wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde; denn weder dem Papst noch den Konzilien allein glaube ich, da es feststeht, dass sie öfter geirrt und sich selbst widersprochen haben, so bin ich durch die Stellen der heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen!"
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Quelle: www.spiegel.de |
Also bin ich doch zumindest froh, dass ich in einer Zeit lebe, in der das monotheistische Christentum zu seiner Durchsetzung keine Kreuzzüge mehr veranstaltet, keine Scheiterhaufen mehr entfacht oder den Teufel durch Folter austreibt. Leider kann man das vom Islam so nicht behaupten, obwohl ich mir doch sicher bin, dass der überwältigende Teil seiner Gläubigen Allah in friedlicher Absicht anbetet und Terror wie jüngst im Moskauer Crocus auch ablehnt.
Jedoch, was hat es mit dem Glauben überhaupt auf sich, wenn sich die Welt gerade im Zustand einer gewissen "Abwesenheit Gottes" darstellt? Wenn Gläubige des Westens ihren angestammten Religionszugehörigkeiten den Rücken zukehren, und wenn sich der als Reformer angetretene Franziskus im Netzwerk seiner ewig gestrigen Glaubensbrüder verheddert. Der zeitgemäße Gedanke des Synodalen Weges - den dieser Papst ablehnt - fährt sich ja genauso fest wie die umfassende Aufklärung vom globalem Missbrauch durch das Kirchenpersonal, dem er vorsteht. Unter meinen Lehrern und intellektuellen Wegbereitern gab es Jesuiten, die nicht müde wurden, wieder eine Brücke zwischen mir - dem evangelisch Getauften - und der Gläubigkeit zu errichten, aber je ausgeklügelter ihre Argumente desto mehr wuchs die Distanz zwischen ihnen als "Soldaten Gottes" und mir als Rebellen der Realität. In meiner italienischen Zweitheimat werde ich von meinen meist gläubigen Nachbarn immer wieder nach meinem Glauben gefragt. Dann stellt sich auch die Frage: Gibt es einen Gott? Dann antworte ich als Agnostiker: Ich weiß es nicht, aber ich bin voller Respekt für alle, die in diesen Zeiten ihren Glauben bewahren. Um ganz offen zu sein, beneide ich sie dann, um etwas, was ich leider nicht habe: Die edle Einfalt des gläubigen Vertrauens.
Der zynische Missbrauch dieser Einfalt jedoch wird in Momenten offenbar, da ein US-Präsidentschaftskandidat Bibeln verkauft, um Strafen begleichen zu können, oder ein Neo-Zar Kerzen anzündet und mit seinem Beichtvater kuschelt, während er und seine Soldaten tagtäglich ungeheuerliche Kriegsverbrechen begehen...
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Quelle: Vatikan |
Ich werde mir dennoch wie jedes Jahr "Urbi et Orbi" mit einer Faszination im Fernsehen geben, die ich auch empfinde, wenn riesige Menschenmassen um die Kaaba kreisen. Einfach weil ich immer noch glauben möchte, dass dort, wo soviel mit Inbrunst zelebriert wird, auch noch die Chance auf eine zu heilende Welt besteht.
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Quelle: 123RF |