Bei all den fragwürdigen Jahresrückblicken auf das horöse 2023 ist ein Langzeit-Schaden für die Menschheit aus meiner Sicht komplett übersehen worden: Grundsätze sind nicht länger verbindlich!
Quelle: Newsletter The Pioneer |
Gleichgültig ob in der Politik oder im moralischen Denken, ob in der Rechtsprechung oder für den Umgang miteinander an der gesellschaftlichen Basis: Grundsätzliches wird vollmundig formuliert, hat aber eine erschreckend geringe Halbwertzeit. Einflussreiche füttern ihr Ego zu ungeahnten Dimensionen, wobei es immer fragwürdiger wird, für wen sie eigentlich die Fundamente des Friedens und damit das künftige Leben auf unserem Planeten erschüttern.
Seit dem antiken Athen wird Demokratie als die erstrebenswerteste gesellschaftliche Form des Zusammenlebens gepriesen. Es dauerte aber Jahrhunderte, ja eigentlich zwei Jahrtausende, bis eine erkleckliche Anzahl an Staaten von ihren gewählten Volksvertretern regiert wurde. 2023 hat auf erschreckende Weise vorgeführt, wie schnell sich diese Regierungsform aushöhlen lässt, weil immer mehr Autokraten sie für ihre Alleingänge missbrauchen. Zwar vom Volk ins Amt gewählt, ziehen diese Machtmenschen daraus dann die Legitimation ihr Land zu kujonieren.
Dass "das Volk" gerade jetzt überall auf der Welt Leute wählt, die dann im Amt das alleinige Machtmonopol anstreben, hängt mit dem fatalen Missverständnis zusammen, nur eine starke Frau oder eine starker Mann allein könnten uns aus dem Dilemma befreien und uns die Angst um die schiere Existenz nehmen. So kommt es - wie schon so oft in der sich stets wiederholenden Geschichte - dass sich die Schafe einmal mehr ihre Schlächter selber wählen. Dass an der politischen Unbildung der wild wuchernde Desinformations-Fluss sogenannter "Social Media" einen gefährlichen Anteil hat, erleben wir ja gerade im eigenen Land, in dem Wähler scharenweise einer Partei folgen, die in Grundzügen als verfassungsfeindlich eingestuft wurde. Aber das hatten wir ja alles schon einmal...
Weniger zu tadeln sind da Nationen, für die freie Wahlen in der Geschichte nie zum Standard gehörten, obwohl der vielleicht mit viel Blutvergießen angestrebt wurde. Besonders in Asien, Südamerika und Zentral-Afrika sind Staaten deshalb für Umstürze prädestiniert, weil die Knute des Kolonialismus deren schamlose Ausbeutung so lange beschützt hat. Vor allem ehemalige König- und Kaiser-Reiche waren anfällig für ein gesellschaftlichen Hin und Her, das bis heute anhält. Aktuell ist es die Junta, der Umsturz durch das Militär, die allenthalben wieder in Mode kommt. Auch darf in dieser doch so aufgeklärten Zeit der Einfluss radikalreligiöser Glaubensinterpretationen nicht weiter unterschätzt werden. Autokratische Schlaumeier wie der Türke Erdogan nutzen diese, um zwischen "Ost und West" herum zu lavieren. Ein Gottes-Staat, also eine Autokratie, die sich auf eine "höhere Macht" beruft, an die man glauben muss, ist mindestens so gefährlich wie eine Junta!
Es reicht dabei nicht, mit dem Finger auf das von Putin wieder in eine Art Stalinismus zurück geführte Russland zu zeigen. Der Leitstern der Demokratie, die Vereinigten Staaten von Amerika, bietet nach nur einer Legislaturperiode der Trump-Administration ein Bild der Hilflosigkeit. "The Land of the Free" gleicht einem angeschlagenen Schwergewicht, das von einer in die andere Ecke taumelt. Es lässt sich von einem unerschütterlichen Narzissten ohne jegliches Schamgefühl und Rechtsempfinden vorführen, als hätte es all die blutig erkämpften Errungenschaften seiner Gründerväter nie gegeben. Aber der Sklavenhalter Thomas Jefferson ist ja bei näherer Betrachtung heutiger, geschichtlicher Erkenntnisse auch kein unumstrittener, amerikanischer Held. mehr..
Lassen wir Demokraten uns nicht dadurch täuschen, dass Polen vorerst und gerade noch die Kurve gekratzt hat. Überall auf der Welt gibt es neue derartige Situationen, in denen solche mühsam errungene Regierungsformen auf der Kippe zur Autokratie stehen. Dass die dann allerdings die immer noch gute Idee einer Europäischen Union durch ihr hybrides Kalkül aushebeln können, ist einem edlen Denkfehler der EU-Gründerväter geschuldet, der meines Erachtens schleunigst durch einen mehrheitlichen, parlamentarischen Entscheid beseitigt werden müsste. - Selbst wenn die EU dann dereinst der einzige demokratische Staatenbund wäre, der übrig bliebe.
Quelle: Tagesschau Uiii! Gerade hat der UN-Sicherheitsrat einmal mehr das jüngste Bombardement der Russen auf die geschundene Ukraine verurteilt... |
Wo Grundsätze gegen den Willen zu überleben, derart auf der Strecke bleiben, sind Szenarien denkbar, die sich derzeit niemand in der Endkonsequenz vorstellen mag. Aber was wird, wenn die Angst vor einem atomaren Konflikt plötzlich die Treue des Westens zur Ukraine als obsolet erscheinen ließe. Wie geht man mit dem NATO-Mitglied Türkei in Zukunft um, so lange Erdogan die Hamas lobt und Israel als Aggressor verdammt. (An der Hamas lobt er übrigens, was er bei den Kurden mit Waffen-Gewalt als Terrorismus bekämpft...)
Im Überlebenskampf der Menschheit werden Grundsätze entweder nach Bedarf verändert oder bei aktuellen Gegebenheiten - wie 2023 geschehen - wohlfeil formuliert neu ausgerichtet. Das lässt für 2024 wenig Raum für Hoffnung und schon gar nicht für Optimismus...
All diese Widersprüchlichkeiten auf der Welt habe ich bei meinem eigenen Überlebenskampf während der vergangenen sechs Monate hilflos und meist aus der Horizontalen miterleben müssen. Das könnte bei den Leserinnen und Lesern dieses Posts den Eindruck erwecken, mein Pessimismus rühre daher. Aber da jeder Überlebenskampf - ob nach einem Erdbeben oder einem Bombardement, ob in größter Hungersnot oder verschlingender Flut - letztlich ein individueller ist, habe ich mir zu meiner Errettung den antiken Sprücheklopfer Cicero zurecht gelegt:
Quelle: Depositephotos |
gibt es Hoffnung!
Marcus Tullius Cicero
Geboren: 3. Januar 106 v. Chr., Arpino
Ermordet: 7. Dezember 43 v. Chr., Formia,