Mittwoch, 5. Mai 2021

Der Klang der Sprache

Quelle: Wikipedia
 Von dem Privat-Gelehrten Heinrich Schliemann ist bekannt dass er sieben Sprachen perfekt beherrschte, und zudem Latein und Altgriechisch studierte. Das war wohl zum Teil seinem außerordentlichen Sprachtalent zuzuschreiben, aber vor allem - selbst als er bereits ein erfolgreicher Kaufmann im Welthandel war - seinem Lerneifer.

Den hatte ich leider nie. Zwar versuchte ich mir stets vor meinen Reportage-Reisen  Schriftzeichen und Redewendungen einzuprägen, aber zu mehr reichte es einfach nicht, weil ich definitiv zu faul war. Heute weiß ich, dass jemand der eine fremde Sprache perfekt erlernt hat, das nicht allein seinem Talent zu verdanken hat, sondern Lebensumständen, die Fleiß und Anpassung verlangten. Das ist ganz gewiss der Grund, wieso viele hier Geborene die von Migranten abstammen, so außerordentlich reüssiert haben.

Schon allein diese Tatsache müsste ein Grund sein, diese Bereicherung für unsere Gesellschaft und Kultur zu feiern. Stattdessen führt ihre Anwesenheit zu Verunglimpfung und Hass bis hinein in diffamierende Parteiprogramme. Und wehe die Abkömmlinge haben auch noch eine dunklere Hautfarbe.

Das Multikulti hier unter mir in der "babylonischen Gefangenschaft" der Pandemie, zeigt mir dass wir nicht nur Sahins, Özdemirs, Banerjees und Mohamed Alis feien sollten, sondern auch die Anstrengungen aller weniger Begabten. Was liefe denn in unserem täglichen Leben noch ohne die?

Ich weiß, dass es politisch nicht korrekt ist, nach der Herkunft derjenigen zu fragen, die uns im Alltag jetzt noch begegnen. Nicht gut im Lernen, habe ich jedoch ein gutes Erinnerungsvermögen, dass sich auch im Abspeichern hiesiger und fremder Sprach-Melodien bewährt, deshalb kann ich beiläufig fragen, ohne möglicherweise zu verletzen

So wie unser Paket-Lieferant Deutsch intoniert, war mir klar, dass er aus dem einst französisch sprechenden Teil Afrikas stammt. Ich erzählte ihm zwischen Tür und Angel, dass ich mal am Cap Vert war. Tatsächlich huschte ein Lächeln übers Gesicht, weil er aus Yoff bei Katar stammt. Zu mehr war natürlich keine Zeit, aber seither sagen wir locker: "Ca va?"

Heute können entsprechend programmierte Computer
jede Sprach samt ausgefallenster Dialekte in
Bruchteilen von Sekunden entschlüsseln
Quelle. Sportfolio.com

Beim Pizza-Lieferanten im Haus arbeitet kein Italiener. Seit mein Schwiegersohn mit seiner Familie zum Corona-konformen Picknick in unseren Garten war, wissen wir mehr, weil einer vom Personal Inder ist und happy war, wieder einmal Urdu sprechen zu können.

Die tunesische Supermarkt-Filiale schräg gegenüber hat nicht nur das beste Obst und Gemüse, sondern ist in ganz München auch ein Geheimtipp für hervorragendes Lammfleisch. Sie sprechen dort lieber Deutsch als Französisch, was historisch verständlich ist. Das Personal ist  eine Mischung aus ganz jungen und bewährten, älteren Kräften. Die Jungen wechseln, sobald sie einigermaßen Deutsch können in andere Filialen. Vielleicht auch in Deutsche Supermarkt-Ketten. Im nahe gelegenen, vermutlich besser bezahlenden Penny ist einheimisches Personal nur noch vereinzelt anzutreffen. Unsere Apotheke beschäftigt entsprechend der Sprach-Vielfalt im Viertel Serbokroatisch sprechende Damen und bildet junge Türkinnen aus, die Kopftuch tragen dürfen.

Mitunter habe ich das Gefühl, dass unsere Mitbürger kroatischer Abstand weniger hinterher sind fehlerloses Deutsch ohne Akzent zu sprechen. Dabei hätten sie mit Miroslav Nemec, der den Tatort-Ermittler Ivo Batic verkörpert, doch eine (ent)sprechendes Beispiel. Meine Friseurin und auch unser Hausmeister haben immer noch den melodisch holpernden Sprachmodus wie unsere einstige Haushaltshilfe und Torwart-Legende "Radi" Radenkovic. Das Mag daran liegen, dass München mit bald 40 000 Einwohnern kroatischer Nationalität eine der größten kroatischen Städte mit einem autarken Kulturleben ist...

Übrigens meinen lustigsten Treffer beim Erkennen des Klanges einer Sprache erzielte ich in einer der nobelsten Cocktail-Bars von Barcelona. Deren Personal hinter dem Tresen bestand nur aus Chinesen. Der junge Mann, der uns auf Spanisch nach unseren Wünschen fragte, gab die Bestellung in seiner Sprache weiter. Auch an Mandarin hatte ich mir ja einst die Zähne ausgebissen, aber mein beifahrender Dolmetscher klärte mich auf der langen Fahrt damals über die verschiedenen Intonationen auf. Während die Pekinger das R wie ein Rülpslaut aussprachen, sollte ich darauf achten, wie die Menschen in Suzhou diesen Konsonanten quasi durch ein Hauchen umgingen. Nun ist Spanisch ja eine Sprache, in der das gerollte R sehr dominant ist. Unser Mann gab die bestellte Margarita jedoch mit zwei unnachahmlichen Hauchlauten weiter. Als er die Drinks hinstellte, fragte ich ihn in meinem kümmerlichen Spanisch, ob er denn aus Suzhou sei. Die nächsten Drinks gingen unter großen Ehrbekundungen aufs Haus...

Am Kaiser-Kanal bei Suzhou
Foto: Claus Deutelmoser



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