Zu jeder Erinnerung bei den vielen Reisen gab es mindestens ein Dia, und mein Vater hielt mit ihnen auch Vorträge |
Auch meine Mutter schwelgte gerne in Erinnerungen. Sie verlor dann - nachdem mein Vater gestorben war und sie die Erlebnisse mit ihm gemeinsam nicht mehr aufrufen konnte - Tag für Tag ihre einst unglaubliche Dynamik. Aber sie hatte alles was ihr das Leben an Schönem bescherte unauslöschlich bis zum buchstäblich letzten Atemzug gespeichert. So schwärmte sie immer noch von einem Weihnachten im Krieg, bei dem mein Vater auf Front-Urlaub für seine kleine Familie (meine zwei Schwestern waren da ja schon geboren) irgendwie einen Weihnachtsbaum besorgt hatte. Der aber war viel zu groß für das auf halbem Weg angemietete Zimmerchen gewesen, in dem sie zusammen feiern wollten. Also wurde der Baum oben und unten gekürzt und hatte eigentlich nur eine Etage, die mit den wenigen Notfall-Kerzen und Folien aus Zigaretten-Packungen geschmückt wurde. Für meine Mutter war die Erinnerung an jene Weihnachten schöner als alle späteren in Gesundheit, Frieden und wieder erworbenem Wohlstand gefeierten.
Es gab in einem Album ein Foto von diesem Baum, der ohne diese Geschichte einen trostlosen, eigentlich lächerlichen Anblick bot.
Wie oft bin ich gefragt worden, welche Reise-Erlebnisse die schönsten Erinnerungen gezeitigt hätten. Ich bin aber nicht in der Lage dazu, weil über diesen Erinnerungen die jeweils ungebremst erlebte Veränderung der Welt lagert.
Gestern fand der Tausendste Formel 1-Grandprix in Shanghai statt. Ausgerechnet in der Stadt, in der ich 1986 als Symbol für Chinas Öffnung zur Welt einen Führerschein machen und mit dem jungen, gleichaltrigen Bürgermeister, der später Erster Vorsitzender wurde, auf Brüderschaft trinken durfte. Damals war Shanghai ein "Dorf" mit historischem Zentrum und auf der Nanking-Road fuhren überwiegend Radfahrer. Heute ist Shanghai Utopia und im Vergleich zu früher nicht mehr wieder zu erkennen.
Die Naking-Road 1986 Foto: Claus Deutelmoser |
Der Bulle bei den "Bullen" zur Führerschein-Prüfung Foto:Gerold Jung |
Tatsächlich sind es die unschuldigen Reise-Erlebnisse der Kindheit, die bei mir als schöne Erinnerungen heute am ehesten präsent sind. Die paar Dramen in meinem Leben sind gemessen an dem, was andere durchmachen oder durchmachen mussten, nicht der Erwähnung wert. Also kann ich die These meines Vaters in Ermangelung solcher (dem Schicksal sei Dank) auch nicht recht nachvollziehen.
Nanking-Road 2019 Fußgänger-Zone und Mega-Shopping-Mall Foto: Trip Advisor |
Wie wird es bei meinem Enkel sein, der in der Ära des Smart-Phones mit all den elektronischen Fotos und Videos zum am besten dokumentierten Familien-Mitglied werden wird? Wird er das Abenteuer des Blätterns im Album überhaupt kennen lernen?
Wieder geht ein München-Aufenthalt mit vielen Veränderungen zu ende. Vermutlich ist es das Alter, das mich zunehmend Veränderungen fürchten, das aber auch die Sehnsucht nach dem Burgberg in Ligurien von Tag zu Tag wachsen lässt...
Es ist daher Zeit für den Blogger, Abstand zu gewinnen und den Oster-Urlaub anzutreten.
So die Macht des Schicksals es will, erhaltet ihr - liebe Leserinnen und Leser - ab dem 6. Mai wieder Briefe von der Burg. Bleibt mir bitte gewogen.
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