Das Ehepaar ist deutlich jünger als meine Frau und ich. Der Meister ist zwar von kräftiger Statur, aber schlank und mit seinen kurzen, grauen Haaren kommt er irgendwie charismatisch rüber. Seine mädchenhaft kleine Frau ist auch Diabetikerin, was uns natürlich immer fachlichen Gesprächsstoff bietet, wenn der Laden zu den Zeiten meiner Einkäufen meist leer ist.
Was die Fleischer als Ur-Gewächse unseres Viertels so auszeichnet, ist auch die soziale Kompetenz. Mit einem großen Anteil ihrer Kundschaft sind sie per Du, was ich sonst eigentlich nur vom Dorf her kenne. Sie ist zudem eine wahre Nachrichten-Zentrale. Jedesmal wenn wir aus Italien zurück sind, erhalten wir von ihr ein minutiöses Update der Nachbarschaft, der neuen Bauvorhaben und zwischenmenschlicher Tragödien. Und zwar so, dass man nicht das Gefühl hat, Klatsch zu lauschen.
Nun also sitze ich in meinem dunklen, gläsernen Erker, schaue auf die Kreuzung hinunter und bekomme erstmals so richtig mit, wie viel Fleiß ein solches Geschäft von seinen Betreibern verlangt:
Um 5 Uhr gehen unten die Lichter an. Das ist wohl die Zeit, in der auch der Koch seine Arbeit aufnimmt. Dann füllen das Ehepaar und eine Angestellte die Auslagen mit ihren Waren. Der Metzger fährt dann mit seinem Lieferwagen zu den Großhändlern und kommt pünktlich zu meinem Frühstück zurück. Eine halbe Stunde später macht der Laden auf, und wie nach Fahrplan sind es immer die gleichen Kunden, die das Tagwerk eröffnen. Mittlerweile kann ich sie an ihrer Art zu gehen auseinander halten. Bei polizeilichen Ermittlungen wäre ich aber keine große Hilfe, weil ich ja ihre Gesichter im Dunkel nicht erkenne.
Dann kommen die Frühstück-Holer. Seit alle Bäckereien in der näheren Umgebung dicht gemacht haben, versorgt der Metzger alle auch mit frischem Brot, Brezen und Semmeln. Die Hausfrauen kommen, wenn die Kinder in der Schule und die Männer in der Arbeit sind. Damit wird dem Aktualisieren der Nachbarschafts-Nachrichten Rechnung getragen.
In der helleren und wärmeren Jahreszeit stehen im Schatten der Markise Wirtshaus-Tische vor dem Laden, die ab 11 Uhr eine regelrechte Biergarten-Atmosphäre erzeugen. Da muss einer schon warten, bis wieder "a Platzerl" frei wird. Nachmittags ist es ruhiger, bis sich ab 17 Uhr wieder Schlangen bilden.
Bislang habe ich zumindest nicht mitbekommen, dass die Metzgers-Leute bei ihren 15Stunden-Tagen, die sie ja überwiegend stehend verbringen, jemals schlecht gelaunt gewesen wären. Seit Wochen hängt ohne nachhaltige Reaktion im Schaufenster ein Job-Angebot für Voll- und Teilzeit oder zumindest aber für stundenweise Aushilfe. Niemand scheint gewillt, sich diese Belastung anzutun. Dabei ist der Streit um die Mindestlöhne in der Fleischer-Branche bei diesem brummenden Geschäft ganz sicher nicht das Thema.
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