Obwohl ich weiß, dass ich in einem der sichersten und immer weiter prosperierenden Länder der Welt zuhause bin, geht es mir wie unserem früheren Präsidenten Gustav Heinemann, der einmal sagte: "Ich liebe keine Staaten, aber meine Frau!". Er sagte auch gerne: "Wer mit dem Finger auf andere zeigt, soll daran denken, dass dabei drei auf ihn selbst gerichtet sind."
Der dritte Präsident der Bundesrepublik Deutschland (1969 - 1974) war eine sanfte, pazifistisch geprägte Vater-Figur. Trotz Kaltem Krieg und wachsendem Terror warb er für Integration, die im wiedervereinten Deutschland der Gegenwart kaum eine Chance hat. Das Präsidenten-Amt ist leider auch viel zu politisch geworden.
Als Bub ohne detailliertes Wissen über die jüngere deutsche Vergangenheit wurde ich auf den zum Teil abenteuerlichen Familien-Reisen viel zu kosmopolitisch, um am Deutschen Wesen zu hängen. Da ich in der Nachbarschaft von Amerikanern aufwuchs, war ich zeitweise neidisch auf den "American Way of Life", der nichts mit dem heutigen "America First" zu tun hatte. Das Thema "Pride" kam vorrangig erst bei Ronald Reagan auf
Rückblickend wundere ich mich nur, wieso mir trotz meines "arischen Aussehens" nie Feindschaft entgegen schlug. Selbst auf dem Balkan und in Griechenland, wo ja die Deutsche Wehrmacht unter der Zivil-Bevölkerung Blutbäder angerichtet hatte, wurde ich von Kindern wie Erwachsenen verwöhnt und als Spiel-Kamerad auf Zeit akzeptiert. Verwundert war ich nur, dass je weiter wir nach Osten kamen, der Name Adolf Hitler mit irritierendem Respekt ausgesprochen wurde.
Bei uns in der Familie wurde erst später intensiv über die Zeit der Nazis gesprochen. Vielleicht, weil mein Großvater, der Wirkliche Geheimrat Erhard Deutelmoser, den ich erstmals auf dem Sterbebett sah, gänzlich das Gegenteil meines Vaters war: Nachdem er erst dem letzten Kaiser im Krieg die Presse-Arbeit organisierte, dann nach dem Ersten Weltkrieg dem sozialdemokratischen, ersten Reichspräsidenten, Friedrich Ebert, als Pressechef diente, stieg er aber noch im hohen Alter in die Nazi-Uniform um.
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Erhard Deutelmoser (ganz links) auf
dem Weg zum Reichstag.
v.l. Max von Baden, und
Wilhelm von Radowitz |
Heinrich Mann beschreibt in seinem großartigen Roman "Der Untertan" eine derartige Karriere zur wilhelminischen Zeit. Nach dieser Lektüre kapierte ich erst den späten Zeitpunkt der familiären Erörterung.
Die meisten Deutschen neigen bis heute dazu, ihre Mäntelchen nach dem jeweiligen Wind auszurichten, und so agieren ihre Politiker eben nach Proporz. Ein Verhalten, dass kaum Struktur-Änderungen zulässt. Das aber erklärt, wieso es so lange gedauert hat, bis nach all den Sondierungen endlich Koalitions-Gespräche aufgenommen werden. Das Gewürge soll dem Wahlvolk suggerieren, dass hart um Veränderungen gerungen wurde, die letztlich marginal sind. Dabei gibt sich die SPD weiter dem Untergang preis, und die CSU bekommt wieder einmal mehr Gewicht, als ihr von den Mandaten her zu stünde.
Getrieben von der Angst, die AfD könne ihre Abgeordneten-Zahl bei Neuwahlen weiter vergrößern, wurde eine Minderheiten-Regierung verhindert, obwohl die dem Pluralismus in unserem Land endlich mal gut getan hätte...