Dienstag, 15. März 2016

Austreten

Als ich als Neunjähriger nach Bayern kam, war ich überrascht, dass meine Mitschüler während des Unterrichts fragten, ob sie mal austreten dürften. In Hamburg, wo ich die ersten Volksschul-Jahre verbrachte, ging man auf die Toilette oder aufs Klo.

Ich lernte schnell, dass in Bayern nicht nur vieles anders heißt, sondern auch andere Sprachregelungen galten. China wurde Kina ausgesprochen, der Chiemsee durfte auf keinen Fall mit CH ausgesprochen werden, Der Tunnel war das Tunelle, und wir beteten - ob von Haus gläubig oder nicht - zu einem Kruzifix an der Wand, Die Sonderheiten, an die ich mich schnell gewöhnte, wurden oft mit dem Status der Freistaatlichkeit erklärt.

Aufgrund meiner in die Reformation zurück reichenden bayrischen Wurzeln wollte ich unbedingt Bayer sein und anerkannt werden. Selbst als Twen rannte ich  mit original Isartaler Tracht auf Feste mit traditionellem Hintergrund. Allein mein Hochdeutsch war eine unüberwindliche Barriere, um eine bajuwarische Anerkennung zu bekommen. Da war die selbst gerühmte Libertas Bavarie schnell an ihren Grenzen. An die stieß ich auch im Alltag mit meiner ersten großen Liebe, einer winzigen Afro-Eurasierin von puppenhafter Schönheit. Die wurde gut hörbar als "Ami-Schicksen" beschimpft.

Seither fasziniert und erschreckt mich der Zwiespalt des Bayrischen Wesens. Da wird ein afrikanischer Pfarrer gerade aus dem Amt gemobbt - gut geheißen von lokalen CSU-Größen, die dann gar nicht schuldbewusst zurücktreten. Andererseits kümmern sich kaum in einem anderen Bundesland so viele Freiwillige derart intensiv darum, dass Flüchtlingen halbwegs zumutbare Unterkünfte und angemessene Versorgung erhalten.

Die nahezu uneingeschränkte künstlerische Freiheit der Weltstadt Münchens in den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts konnte aber auch damals die "Hauptstadt der Bewegung" nicht verhindern. Hier marschierte die braune Bande auf die Feldherren.Halle zu, und wurde die "Weiße Rose" in Nazi-Blockwart-Manier verpetzt....

Ich liebe dieses heutige München. Viele Großstädte gibt es nicht in Deutschland, die Integration derart weltoffen leben und kulturelle Vielfalt gestatten. Aber wie lange geht das noch gut?

Seehofer und seine Speichel leckenden Paladine können doch nur so große und teilweise arroganten Töne spucken, weil in Bayern während der Krise nicht gewählt wurde. Die CSU soll doch als "Regierungspartei" in Land und Bund nicht glauben, dass sie bei diesem AFD-Aufstieg ungeschoren davon gekommen wäre.

Nach all seinen Alleingängen im Vorfeld der Wahlen und den permanenten Angriffen auf die Kanzlerin fragte die ZDF-Moderatorin Marietta Slomka den Bayrischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, wieso er denn nicht daran dächte, aus der Koalition aus zutreten.  Das Zögern bei der Antwort dauerte einen Moment zu lange, und sie kam auch sehr gedruckst.

Er wäre selbstherrlich genug, zu glauben, er könne die Kanzlerin zum Umdenken zwingen. Aber austreten? Der Versuch einer bundesweiten CSU ist ja schon mal gescheitert. Und bis sie sich bundesweit etabliert hätte, wäre die AFD schon sicher im Bundestag...

Dumm ist er nicht, der Horst: Austreten  darf er vermutlich nur, um aufs Klo zu gehen.

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