Mittwoch, 5. März 2014

Errungenschaften

Also, ich habe eine kuschelige, neue Strickjacke bekommen. Habe wohl lange genug darüber gejammert, dass meine alte - so betagt wie die historische von Dr, Helmut Kohl im Haus der Deutschen Geschichte - so verfilzt daher kam, dass mit ihr kein Staat (!?) mehr zu machen war.

Auch hier ist wohl im Lauf der Zeit ein Wandel meines Charakters erfolgt: Neue Errungenschaften habe ich früher sofort in Gebrauch genommen, bis sie dann eben bald auch gebraucht aussahen. Mittlerweile hebe ich mir die guten Kleidungsstücke für besondere Anlässe auf, die aber gar nicht mehr kommen. Die Folge: Meine Schränke sind voll von kaum getragener Kleidung, während ich auf die meisten in meiner Umgebung, wohl ziemlich abgerissen wirke...

Wieso erzeugen neue Errungenschaften bei mir kaum mehr eine solche Spannung wie beispielsweise bei der Taxi-Zentrale ein paar Häuser weiter auf der gegenüber liegenden Straßenseite? Da hat sich der Chef so ein schickes LED- Leuchtband für Nachrichten angeschafft. Das läuft seit Dezember mit nur kurzen Unterbrechungen Tag und Nacht. Es strahlt derart stark, dass unser Schlafzimmer-Vorhang hysterisch flackert. Anfangs fanden wir das ja noch ganz toll, weil unser Außenthermometer seinen Geist aufgegeben hatte, und wir so nächtens die Temperatur erfuhren. Inzwischen scheint sich aber keiner mehr so recht um diese Errungenschaft zu kümmern. Heute morgen um 5 Uhr 88 sollen wir angeblich eine Temperatur von 15,7 Grad gehabt haben. Hat wohl einer das Gerät nachlässig programmiert. Und deshalb kann ich denen fürderhin auch den grammatikalischen Fehler in ihrer Ansage nicht mehr nachsehen. Vielleicht gehe ich doch mal rüber in meiner neuen Strickjacke und beschwere mich.

Bei der Kritik an solch stolzen Errungenschaften habe ich schon manche  Freunde verloren:
In der oberbayerischen Dorfgemeinschaft, in der meine Eltern ihren Lebensabend verbrachten, hatte eine Nachbarin ihr denkmalgeschütztes Landhaus aufgehübscht. Als die Renovierungsarbeiten fertig waren, prangte neben unsäglicher Lüftlmalerei auch ein Sinnspruch:

Lass Neider neiden,
Lass Hasser hassen,
Was Gott dir gibt
muss der Mensch dir lassen

"Na was sagst?", fragte mich die Nachbarin.
"Vor der letzten Zeile fehlt ein Komma", erwiderte ich und wurde nie mehr eingeladen. Das Komma fehlt bis heute.

Es ist vermutlich vermessen, zu fordern, dass neue Errungenschaften stets einen gewissen Zeitraum unter Verschluss bleiben.
Die Rüstungsindustrie zum Beispiel lebt  genau davon: 
Es werden ständig neue Waffen mit immer raffinierterer Killer-Technologie von unseren Steuergeldern angeschafft und bleiben doch meist ungenutzt. Wie sehr müssen die Falken da immer ihre Schnäbel verklemmen, weil sie ihre schönen Knaller nicht anwenden dürfen.

Ja, und dann kommt der Putin und rasselt ganz altertümlich mit den Säbeln und die Amis ballen die Faust in der Tasche...

Leute es ist 11 Uhr 99! Kommt endlich zur Besinnung und hebt die Errungenschaften auf  - für irgendwann in ferner Zukunft!

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