Es ist schon so: Du musst München nur ein paar Tage blauen Himmel und leicht wärmende Sonnenstrahlen schenken, schon verhält sich die Stadt wie die Magnum-Champagnerflaschen mit denen sich die Formel 1-Fahrer bei der Siegerehrung abduschen. München leuchtet in diesen Tagen nicht nur, es schäumt nahezu unkontrolliert über.
Seit vergangenen Freitag habe auch ich meine Glas-Eremitage wieder einmal verlassen, um mich mit dem Rad auf vertrauten Strecken einzurollen. Mehr war nicht drin, denn die Sonnenhungrigen marschierten auf allen Wegen in Zehnerreihen nebeneinander wie bei einer Groß-Demo. Die Gestade vom Olympia- und Kleinhesseloher See verwandelten sich bereits zu Beach-Revieren, in denen erste, noch bleiche Brüste dem UV-Licht ausgesetzt wurden. Der Bus, der durch den Englischen Garten verkehrt, kam da nur schrittweise und hupend voran.
Bei vielen schien die Sonne aber auch die Lust am Laufen angeregt zu haben, denn die Jogger wuselten sich genauso zickzack durch die Menge wie ich. Es lag aber nicht an den sechs Wochen Schongang, die mir auferlegt worden waren, dass ich mich bei meiner Kurbelei so ausgeschlossen und fremd fühlte. Erstmals kam es mir vor - wie unser gerade frei gesprochener Alt-Bundespräsident es formulieren würde - als hätte ich den Rubicon überschritten und eine Welt hinter mir gelassen, in die ich nie mehr zurück kehren kann.
Vor allem die Läufer waren so anders. Sie laufen und quatschen dabei miteinander, als hätten sie Luft für einen Ultra-Marathon. Auch die ohne Lauf-Partner quasselten meist ununterbrochen, weil sie per Handy mit irgendjemandem verbunden waren, dem sie derart per Flatrate demonstrieren wollten, dass sie in Topform sind. Zwei muslimische Schönheiten, die in schillernden Pluderhosen und Kopftuch dahin flatterten, hatten wohl sogar auf Konferenz geschaltet, denn sie sprachen gleichzeitig sehr schnell und ohne einander zuzuhören.
Was war nur aus der von mir so geschätzten "Einsamkeit des Langstreckenläufers" geworden. Diese einzigartige Shortstory des Briten Alan Sillitoe war einst - vor beinahe fünfzig Jahren der Auslöser für meine Lauf-Leidenschaft gewesen. Damals galt man nicht als Jogger, sondern als Spinner, wenn man regelmäßig die Laufschuhe schnürte. Zwar war ich im Gymnasium die Tausend Meter bereits in knapp über 2,30 Minuten gelaufen, aber da war ich dennoch schon für eine Lauf-Karriere viel zu schwer gewesen.
Die Gewicht-Zunahme während meiner Autoren-Tätigkeit brachte mich Jahre später in den 1970ern wieder zum Laufen. Bis zur Geburt unserer Tochter lief ich täglich den Abschnitt der Olympia-Marathon-Strecke von 1972, der durch den Englischen Garten führte.
Letztendlich war es aber nicht die Sucht nach Fitness, sondern nach dem Kick in meinem Gehirn, der sich nach zwei bis drei Kilometern einstellte. Mein Denken löste sich quasi von meinem viel zu schweren Körper, der sich weiter die langsam verblassenden, blauen Striche der Leitlinie entlang quälte. Von der so erlebten Leichtigkeit träume ich manchmal noch heute.
Was habe ich in den 45 Minuten am frühen Morgen für schöne Geschichten geschrieben. Ich musste mich nach dem Duschen nur noch an den Schreibtisch setzen. Das viel beschriebene Phänomen der Schreib-Blockade hielt ich daher lange Zeit eher für die Ausrede fauler Texter.
So mutierte ich zu einem laufenden Eremiten und muss der "Zweitbesten" heute noch dankbar sein, dass sie mich nicht davon gejagt hat.
Kaum auszudenken, was aus meinem Schreiben geworden wäre, hätte es damals Handys mit Freisprech-Einrichtung gegeben. Jetzt würde ich allerdings gerne laufend mitschwätzen, aber für den Eremiten gibt es nun mal keine Rückkehr...
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