Mittwoch, 2. Oktober 2013

Zwischen Nulltoleranz und Intoleranz

Zwischen der Zweitbesten und mir ist ein regelrechter Kopftuch-Streit ausgebrochen. Er spitzt sich zu, seit der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in dieser Woche das Kopftuch-Verbot für Frauen in öffentlichen Institutionen seines Landes aufgelöst hat.

Ich verstehe meine Frau, weil ich weiß, dass sie Angst um die Errungenschaften der Emanzipation hat, für die sie sich stets - und nicht nur im Berufsleben als Chefin - eingesetzt hat. Das ging sogar so weit, dass sie von mir ein Hausfrauen-Gehalt verlangt hatte, als sie wegen der Kinder einige Jahre beruflich pausierte. Dass ich kurzer Hand all unsere Geldangelegenheiten ihrer Verantwortung unterstellte, änderte an ihrer theoretischen Forderung nichts. Es ging ihr allein um das Prinzip der geldwerten Anerkennung häuslicher Arbeit - um das derart zu respektierende Berufsbild "Hausfrau".

Mit gleicher Hartnäckigkeit fordert sie nun Nulltoleranz gegenüber den Kopftuch-Trägerinnen, weil sie in ihnen arglose Verräterinnen der Emanzipation sieht, gesteuert von der "Männer-Religion", dem konservativen Islamismus. Sie verweist dann gerne darauf, wie weit und selbständig die Frauen in der Türkei, aber auch in Persien, Ägypten und dem südöstlichen Mittelmeer schon waren, ehe die Ayatollahs und der sogenannte "Arabische Frühling" sich durch die Manipulation anderer Islamisten wieder deren überkommenen Frauenbildern zu wandten.

Da hat die Zweitbeste recht, aber auch wieder nicht. Um ganz ehrlich zu sein, mir geht die ständig zunehmende Häufung von Kopftuch-Trägerinnen, die hier in unserem etnischen Stadtviertel die Kreuzung unter dem Glashaus passieren, auch ziemlich auf die Nerven. Vor allem wenn ich junge Mädchen beobachte, die sich  untenrum mit Leggins und engen Trtikots sexy bekleiden und sich das Haupt dann in dieser neo traditionellen Weise verhüllen, als sei das Ganze nur ein weiterer Modegag. Aber ich reiße mich dann stets zusammen, weil ich trotz der bedrohlichen politischen Dimension, die historische und formal rechtliche berücksichtigen muss, um nicht der Intoleranz anheim zu fallen.

Der in Frankreich nach der Affäre Dreyfus begründete Laizismus - also die strikte Trennung der Staatsmacht von jeglichen Religionen - hat ja in der Folge nur Eingang in 16 nationale Verfassungen dieser Welt gefunden. Am striktesten geschah seine Anwendung aber in der Türkei. Kemal Pascha, das alkoholkranke Militärgenie führte sie in seiner Eigenschaft als Atatürk bei der Gründung der modernen Türkei in die neue Verfassung ein und erließ damit gleichzeitig für "Laien" das Verbot, Fez und Schleier als äußeres Zeichen der Relgionszugehörigkeit zu tragen. Dieser ataatspolitische Vorgang ist aber nicht demokratisch, sondern eher despotisch erfolgt. Weshalb die Türkei im Folge-Jahrhundert möglicherweise immer Schwierigkeiten hatte, diese oktroyierte Demokratie zu stabilisieren.

Immer wieder trat das Militär mit einem Putsch erneuten Islamisierungsbestrebungen  gewählter Regierungen entgegen. Auch Erdogans erster Versuch, die Macht zu übernehmen, scheiterte daran, dass er mit seinem überdeutlichen Bekenntnis zum Islam eigentlich gegen den Laizismus verstieß. In der Folge ist aber durch partielle Verfassungsänderungen auf demokratische Weise sein Weg zur Macht nicht nur geebnet worden, sondern auch soweit gediehen, dass er jüngst sogar das Militär durch die angebliche Aufdeckung einer fragwürdigen Verschwörung in seine Schranken verwiesen hat.

Die Aufhebung des Kopftuch-Erlasses erfolgte also mit rechtsstaatlichen Mitteln (Ähnlichkeiten zu Mohammed Mursis Handlungen sind da sicher nicht zufällig) und gleichzeitig mit beschwichtigenden Zugeständnissen an andere Religionen, die bislang in der Türkei unter Restriktionen zu leiden hatten. Als Beleg für die freie Entscheidung beim Kopftuch-Tragen, werden jetzt allenthalben weibliche Mitglieder von aufgeklärten Familien vor die Kameras geschickt, bei denen eine Kopftuch trägt, während die andere darauf verzichtet.

Erdogans Ehefrau Emine jedenfalls darf nun auch zu offiziellen Anlässen in der Heimat eingeladen werden und dabei Kopftuch tragen - wie dies im übrigen auch ihre beiden in den USA studierenden Töchter tun. Schließlich ist das dort ja "The Land Of The Free", und die Türkei obendrein noch der wichtigste NATO-Partner an der Grenze zum Osten...


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