Sonntag, 13. November 2011

Zeit-Reise 4: Die Sprache der Liebe

Fortzsetzung des Posts vom 10.11.2011

Wenn die "Lie-hie-be" tatsächlich eine Himmelsmacht wäre, wie das eine Schnulze besingt, dann frage ich mich doch, wieso sich der Islam generell so schwer tut, sie in der Gegenwart endlich liberaler zuzulassen. Sage mir, wie Du mit Deinen Frauen umgehst und ich sage Dir, wes Geistes (Gottes) Kind Du bist.  Vor der Renaissance des fundamentalen Islamismus, waren viele Länder in puncto Emanzipation der Frauen schon auf dem richtigen Weg. Auch einige, in denen in diesem Jahr der sogenannte "Arabische Frühling" ausgebrochen war. Nun scheint es, dass auch dort die Frauen wieder einmal auf der Strecke bleiben - wie vermutlich auch die weitere Hoffnung auf Demokratisierung.

In der Türkei haben die Frauen schon seit 1934 aktives und passives Wahlrecht. Auch hier war Kemal Pascha ein absoluter Vorreiter...

Bei meinen ersten Reisen durch die Türkei als Knabe, war die Liebe zwischen Mann und Frau natürlich noch kein Thema, aber bei meiner dritten gut anderthalb Jahrzehnte später:
Als Twen, der in der in den ersten Jahren der Antibaby-Pille zum Manne geworden war und die liberalen Auswüchse der Hippie-Zeit halbwegs ohne Knacks aber dennoch recht erfahren überstanden hatte, bereiste ich die Türkei journalistisch. Diesmal war ich von Investoren, Reiseunternehmern und Hoteliers zu einer Präsentation des modernisierten Skigebietes am Uludag, dem Bythinischen Olymp, über der alten osmanischen Hauptstadt Bursa in der Westtürkei gebeten worden.

Das Land, wie ich es als Kind kennen gelernt hatte, fand ich zwar verändert, aber was sich dort oben abspielte, war so eine Art "Zauberberg" auf türkisch. Die türkische Oberschicht hatte sich im westlichen Stil  mit Luxushotels, Clubs  und schicken Appartements einen Tummelplatz geschaffen, der durchaus Flair hatte. Wenn sich auch die Hoffnung auf deutsche Flugtouristen nicht ganz erfüllen sollte, so kamen doch Türken, die es in Deutschland bereits zu einem gewissen Wohlstand gebracht hatten und diesen nun daheim vorführen wollten. Das Skifahren war dabei eher eine amüsante Nebensache. Hauptsächlich ging nachts in den Discotheken bei jeder Menge Alkohol die Post ab. Wie bereits geschrieben - die Ayatollahs waren da noch nur ein schwarzer Schatten im Osten.

Überwiegend waren junge Ehepaare die Klientel, aber auch Männergruppen. Was in den ersten Stunden auf der Tanzfläche zu lustigen Erfahrungen führte, weil bei folkoloristisch-türkischer Popmusik zunächst nur die Männer ihre Hüften schwingend Reihen bildeten. In den 70ern war es ja aufgekommen, dass man auch alleine auf die Tanzfläche gehen konnte. Das machten dann vor allem die Damen, wenn zu späterer Stunde die gängigen Hits aus dem Westen aufgelegt wurden. Eine Mitdreißigerin fiel mir dabei besonders auf, weil alle irgendwie einen Abstand zu ihr ließen, um nicht zu sagen, einen Bogen um sie tanzten. Das konnte weder an mangelnder Schönheit noch Eleganz liegen. Tatsächlich war sie eine statuarische , langbeinige Schönheit, die mit unerhörten Kurven an den richtigen Stellen sogar den damaligen Bauchtanz-Star "Nur" ausstach, die für den früheren Abend engagiert worden war...

Später sprach sie mich in akzentfreiem Deutsch an, was mich (in Richtung Gunstgewerbe) zunächst argwöhnisch machte. Im Laufe der Nacht aber erzählte sie mir eine - ihre - Geschichte, aus der der türkisch-deutsche Kultregisseur Fatih Akin durchaus einen für ihn typischen Filmstoff machen könnte:


Im Alter von 17 war sie aus Zentral-Anatolien nach Deutschland gekommen, um einen Mann zu heiraten, den die Eltern für sie zwar in der Heimat ausgesucht hatten, aber den weder sie noch ihre Tochter je persönlich zu Gesicht bekommen hatten. Es zählte lediglich, dass die Väter dies als Waffenkameraden während ihrer gemeinsamen Militärzeit abgemacht hatten.

Ohne jegliche Deutschkenntnisse wurde sie von ihrem Mann, der ihr von der ersten Sekunde dieser Zwangsehe mißfiel, in eine ziemlich heruntergekommene Kreuzberger Wohnung gesperrt und mehr oder weniger täglich vergewaltigt. Als keine Kinder kamen, kühlte sich das Mütchen des Ehemanns, der seine Zerstreunng andernorts suchte und seine Frau alsbald zur Lohnsklavin degradierte. Was letztlich für ihre Befreiung sorgte, weil sie an ihrer Arbeiststelle schneller Deutsch lernte als ihr Zwangsgemahl.

Die dank der Pille ihre sexuelle Freiheit genießenden, frisch emanzipierten,deutschen Arbeitskolleginnen, denen sie sich anvertraute, rieten ihr in Unkenntnis der gefährlichen, türkischen Ehren-Riten ihren Mann zu verlassen. Nach einem kriminellen Gewalt-Drama, in dem auch die deutschen Behörden wegen der an den Ehemann gebundenen Aufenthaltsgenehmigung keine besonders rühmliche Rolle spielten, gelang es der jungen Frau nicht nur die Aufnahmeprüfung in der Schwesternschule zu bestehen, sondern durch herausragende Leistungen auch die erste türkischstämmige Oberschwester an der Charité zu werden. Die Früchte ihres Strebens genoß sie nun  - ein wenig provokant zwar - bei ihren "Heimaturlauben" als zwischenzeitlich geschiedener, überzeugter Single, der dies die türkischen Männer dann auch unverblümt wissen ließ.

Dieser Tage kam mir die ganze Geschichte in Erinnerung, weil ich den Bericht über  die Beratungsstelle für Opfer von Zwangsehen gelesen hatte. Über 3000 Frauen - nur die Spitze des Eisberges - wenden sich demnach alljährlich um Hilfe an diese Einrichtung. Darüber hinaus gäbe es Erkenntnisse - so die Bundesministerin - , dass von  jeder dritten Zwangsehe minderjährige Mädchen betroffen seien. Von Zwangsehen, die in Deutschland Straftatbestand erfüllten!...

Da bekommt Premier Erdogans Forderung nach türkischen Schulen in Deutschland und seine ablehnende Haltung gegenüber den geforderten Sprachkenntnissen als Grundvoraussetzung für eine Einbürgerung oder gar doppelte Staatsbürgerschaft doch diesen extrem konservativen Beigeschmack, den man im Hinblick auf seine großosmanischen Begehrlichkeiten fürchten sollte.

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