Fortsetzung des Posts vom 7. November über kulturelle Verlgeiche zwischen Deutschland und der Türkei
Wirtschaft
Zwischen osmanischer Großmacht und dem "kranken Mann am Bosporus" - das Wechselbad in der Weltgeschichte weist über die Jahrhunderte mit Expansionsdrang, Zerschlagung, Völkermorden und dem Ringen zwischen Diktatur und Demokratie eine Reihe von Parallelen zwischen der deutschen und türkischen Historie auf; wenn auch zu verschiedenen Jahrhunderten oder zeitversetzt. Gleichermaßen auffallend ist beider Nationen Fähigkeit, sich aus tiefen Tälern wieder zu befreien. Die Ähnlichkeit der Tugenden - nämlich Fleiß und Leistungswillen - wurde auch in der Türkei mitunter von einem fanatischen Nationalismus überlagert.
Obwohl die Türkei sehr früh dem Völkerbund und der NATO beigetreten war, gab es eben keinen Marshallplan für dieses von Agrarstrukturen beherrschte Land. Kemal hatte zwar die Öffnung nach Westen und mehr Industrialisierung gewollt, aber sein früher Tod und der Zweite Weltkrieg kamen dazwischen.
Als Knabe mit Großeltern auf dem Land erlebte ich also auf jener Reise den verblüffenden Kontrast zwischen unserer im "Wirtschaftswunder" mittlerweile bereits hoch technisierten Landwirtschaft und der Erntearbeit in Ost-Anatolien, wo Frauen auf von Maultieren gezogenen Schlitten das Korn "droschen" und wahre Seelenverkäufer von Lastwagen (nächtens oft nur mit einer Stall-Laterne im Führerhaus) die Feldfrüchte sehr unzuverlässig in die Ballungszentren schafften.
Aus diesem wirtschaftlichen Umfeld war für die meisten Männer keine ausreichende Wertschöpfung zu erzielen, um die Familien sicher zu ernähren oder gar jemals zum westlichen Lebensstandard aufzuschließen. Man mag es dort heute vielleicht nicht mehr gerne hören, aber die Türkei war zumindest da noch augenscheinlich auf der Stufe eines (später so genannten) Entwicklungslandes. Die Anwerbungen aus Deutschland kamen also genau im rechten Moment.
Sie kamen aber auch in dem Moment, in dem Walter Ulbricht seinen Schutzwall gegen den kapitalistischen Imperialismus zwischen beiden deutschen Staaten hochzog, um die Massenabwanderung aus seinem Arbeiter- und Bauern-Paradies zu stoppen. War das vielleicht ein Grund, wieso das Thema der Integration an den als Gäste angeworbenen Arbeitskräften verfehlt wurde? An deren ersten beiden Generationen scheiterte die Integration, weil sie von deutscher Seite gar nicht ins Auge gefasst wurde. Ihre Isolation aufzugeben, kam den Arbeitern aus der Fremde ebenfalls nicht in den Sinn, weil sie ja davon ausgegangen waren, ein schnelles Vermögen zu machen, um dann wieder in die Heimat zurückzukehren. Doch nach einer Weile wollten das die Wenigsten. Mit den nachziehenden Ehefrauen und Kleinkindern sowie dann mit deren bereits in Deutschland geborenen Nachkommen wurden diese Versäumnisse von Staatswegen bereits offenkundig und hätten in den 1990ern durch orientierungslose türkische Jugendlichen, die in einem wiedervereinigten Deutschland scheinbar an die Wand gedrückt wurden, fast zu einem gesellschaftlichen Debakel geführt.
Weniger die ergriffenen Maßnahmen der Politik als der Behauptungswillen der ehrgeizigen türkischen Jugendlichen haben größere Probleme offenbar verhindert, obwohl sie sich selbst nach der Jahrtausendwende immer noch mannigfaltigen Diskriminierungen ausgesetzt sehen. Aber weil sie eben von sich aus die Isolation, die ihnen vielleicht auch noch durchs Elternhaus oktroyiert wurde, durchbrochen haben, sind sie jetzt in der Gesellschaft angekommen.
Perfide wird es allerdings, wenn der "Özil-Effekt" via Fußball-Nationalmannschaft als Resultat einer geglückten Integration missbraucht wird.
Ich habe mich wegen dieser Zeilen hier gefragt, wieso in meinem großen internationalen Freundes- und Bekanntenkreis nur eine einzige Türkin zu finden ist. Auch die zählt als Entlastungsbeispiel nicht richtig, weil sie als Tochter eines journalistischen Auslandskorrespondenten und Ehefrau eines Deutschen kaum in der Türkei gelebt hat.
In meiner Jugend traf man beim Sport keine Türken. Die Isolation war selbst auf den Sportplatz so groß, dass es hier in München sogar einen eigenen türkischen Fußball-Verein geben musste, dem dann überall in Deutschland weitere Türk-Gücü-Teams folgten. Einzige Unterschiede machten Kraftsportarten wie Ringen und Gewichtheben, in denen die Bundesligamannschaften schon sehr bald auf die traditionell besser geschulten, türkischen Athleten nicht mehr verzichten konnten.
Was das mit Wirtschaft zu tun hat? Ich habe da eine Anti-Sarazin-These entwickelt. Nämlich immer dort, wo Türken die Isolation ihres Malocher-Daseins durchbrochen haben, hatten sie auch aufgrund ihrer Fähigkeiten sehr schnell wirtschaftlichen Erfolg: ob das nun der Gemüsehändler oder der Bäcker oder der Reiseunternehmer war. Die Ögers und Özdemirs waren nur anfangs Ausnahmen. Heute sind die in Deutschland lebenden, selbständigen Türken nicht nur ein Wirtschaftsfaktor für Deutschland, sondern durch ihre Investitionen im Mutterland haben sie wesentlich dazu beigetragen, dass die Türkei heute mit ihrem soliden Wachstum und der vergleichsweise geringen Staatsverschuldung eigentlich besser dasteht als die meisten Mitglieder der Euro-Zone, in die sie ja so dringend aufgenommen werden wollen.
Erdogans Selbstbewusstsein fußt auf dieser Prosperität. Die Forderung nach der doppelten Staatsbürgerschaft sollte nicht am Schielen auf die Gunst mit alten Vorurteilen belasteter Wähler scheitern. Vielleicht sind wir ja in einer ungewissen Zukunft bei erblühenden türkischen Landschaften ganz dankbar, wenn uns von dort Anwerbe-Ansinnen erreichen...
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