Samstag, 19. November 2011

Ritter der Radwege

Wären wir uns selbst gegenüber alle so ehrlich, wie wir dies natürlich von unseren Mitmenschen verlangen, dann würden wir uns ein Mutationsphänomen eingestehen. Nämlich:
Hinter dem Lenkrad eines Autos fluchen wir nur allzu gerne über Radler und Fußgänger, um uns gleich darauf als Fußgänger über rücksichtslose Radler und Autofahrer aufzuregen... Logischer Weise flucht dann - auch zu Recht - der gelegentliche Radfahrer über trottelige Fußgänger auf dem Radweg und wünscht ignorant abbiegenden Autofahrern den Rost ins Getriebe. Es sind immer die anderen!

Ganz kleinlaut muss ich mich nun zur Gruppe letzterer Verkehrsteilnehmer bekennen. Nach einem Sturz vor zwei Jahren, über dessen Ursache ich mir nicht so sicher war, bin ich nun ausgerechnet im Münchner Großstadtverkehr wieder aufs Rad gestiegen. Aus heherem sozialpolitischen Gründen natürlich, denn im dritten Winter in Folge haben die öffentlichen Verkehrsmittel ihre Preise überproportional zur allgemeinen Teuerungsrate angehoben - begründet durch die höheren Energiekosten.

Ich erinnere mich noch gut an die blumigen, verkehrspolitischen Zielformulierungen der früheren Grünen-Vizebürgermeisterin Sabine Csampai, die die Verkehrsbetriebe so attraktiv und kostengünstig gestalten wollte, dass alle ihre Autos stehen lassen könnten.

München erstickt im Feinstaub des Trafficjams, zockt im öffentlichen Nahverkehr wie bei den Parkgebühren gnadenlos ab und lässt die Verkehrsführung derart haarstäubend umweltschädliche Ampelfrequenzen schalten, dass das weniger erzieherisch als vielmehr schikanös wirkt.

Nur die Radfahrer scheinen überproportional begünstigt, seit sich die Stadt dem Ziel verschrieben hat, als Radfahrer-Metropole beispielhaft zu sein. Nun muss man als Nichtbayer wissen, dass  "Radlfahrer" mundartlich auch als Synonym für Arschkriecher Verwendung findet. Wenn sich also der Stadtrat heute damit brüstet, dass die 17,4 Prozent Münchner Verkehrsteilnehmer, die aufs Rad steigen, ein Beleg für die fabelhafte Versorgung der Stadt mit Radwegen sind, dann kommt eher der Verdacht der Arschkriecherei beim Wahlvolk auf. Speziell in meinem Stadtteil liegt die Vermutung nahe, dass viele Radler bei jedem Wetter vor allem deshalb mit Muskelkraft unterwegs sind, weil sie sich sonst den Weg zur meist untertariflich bezahlten Arbeit gar nicht leisten könnten.

Dank dieses milden Novembers hatte ich beinahe täglich Gelegenheit, eine neue Strecke auszuprobieren, wobei ich eben den Vorteil habe, dass ich nirgendwo hin m u s s... Dabei stellte ich folgendes fest: Die "Freizeit-Strecken" - also solche Verbindungen zwischen Olympia-, Petuel-Park und Englischem Garten oder hinaus nach Schleißheim oder Nymphenburg legen für die Landeshauptstadt wirklich Ehre ein. Um diese Jahreszeit kommt man sich auf ihnen aber wie der einsame Ritter der Radwege vor.
Dort hingegen, wo radelnde Arbeitnehmer, Schüler und Studenten aber hinmüssen, wird das Ergebnis schon ernüchternder und gelegentlich ist es sogar wirklich gefährlich eng (beispielsweise zwischen Kurfürstenplatz und Elisabethmarkt oder in der südlichen Schleißheimer Straße).

Was nützen beispielsweise Einbahnstraßen, die von Radlern gegen die Laufrichtung genutzt werden dürfen, wenn der rechte Straßenrand dann zu geparkt ist und die entgegenkommenden  Autos in jedem Fall auf das Recht des Stärkeren pochen, wenn es dem Trambahnfahrer wurscht ist, ob zwischen ihm und einem Lieferantenfahrzeug noch für den gerade dort rechtens radelnden Verkehrsteilnehmer ausreichend Platz bleibt...?

Wo rein bauhistorisch nicht genügend Raum für alle ist, kann keiner zusätzlich herbeigezaubert werden. Da ist allgemeine Toleranz und Rücksichtnahme angesagt. Es steht auch außer Frage, dass die Münchner Radler - seit eine Boulevard-Zeitung den Begriff Radel-Rambo erfunden hat - im Ruf einer "Wilden-Reiter-GmbH" stehen, aber wer mitbekommt, dass die Polizei regelrechte Radlerfallen aufstellt, frage sich schon nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel:

Während hier zur Mittagszeit an der Kreuzung mit dem besten Brotzeit-Metzger von allen jeder Quadratzentimeter (also auch die vier Radwege) - bisweilen sogar von hungrigen Streifenwagen-Besatzungen - zu geparkt wird, kann man Radler andererseits selbst nachts nur warnen, vom Scheidplatz Richtung Petuel-Park auf der linken Seite zu bleiben. Dort gibt es im Halbdunkel des Luitpold-Parkes nämlich auf einmal ein Verbotsschild für die stadtauswärts Radelnden, obwohl sich die Breite des Radweges auch danach nicht ändert. - Aber auf dem Fußweg steht dann gern mal eine Streife, die das Verkehrsvergehen gleich gegen Cash  ahndet...

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