Heute, da die Ägypter auf den Straßen tanzen, fällt es mir schwer, nicht gegen diese Euphorie anzuschreiben. Denn leider bin ich noch nicht zu alt, um mich genau daran zu erinnern, dass Volkes Jubel damals ähnlich laut war, als vor dreißig Jahren der ermordete Anwar al Sadat durch einen Hosni Mubarak von CIA-Gnaden ersetzt wurde...
Als ich mit diesen Blogs anfing, hatte ich mir vorgenommen, vor allem über Dinge zu schreiben, die mich ganz persönlich umtreiben und deren Beschreibung Leuten mit ähnlichem Empfinden vielleicht beim Lesen Spaß macht. Das tagesaktuelle Geschehen hat mich davon abgehalten. Das war bei mir schon als Schüler so. Mitten im Aufsatz sind die emotionalen Meinungspferde mit mir durchgegangen, auf ein anderes, weiteres Feld geprescht, und das unausweichlich folgende, rote "Thema verfehlt!!!" hat mir mehr als eine Deutschnote versaut. Aber ich kann leider nicht anders. Und ist das nicht das Schöne an Postings?
Angesichts des Jubels auf Kairos Straßen gestern kam mir heute Nacht meine Sinai-Reise zwei Jahre nach Mubaraks Amtsantritt wieder in den Sinn. Am östlichen Ufer des Kanals waren wir da noch an ausgebrannten Panzern und Wracks von abgestürzten Fliegern vorbei gefahren; den rußigen Erinnerungen an die letzte kriegerische Auseinandersetzung zwischen Ägypten und Isarael. Wir waren ein paar Tage vor Weihnachten auf dem Weg, den Djebel al Moussa zu besteigen und das Katharinenkloster zu besuchen. Das waren kontrastreiche spirituelle - ja fast religiöse - Erfahrungen vor diesem politischen Hitergrund, obwohl ich Agnostiker bin.
Wir fuhren daran anschließend noch zwei Tage durch die Wüste und waren zu Gast bei Beduinen, die von all diesen Zeitläuften unbeeindruckt schienen. Die Geländefahrzeuge samt Ausrüstung wurden von einem jungen, in Berlin geborenen Israeli koordiniert, der auch fließend Arabisch sprach. Am Lagerfeuer fühlte der sich eines Abends bemüßigt, uns seine Sicht vom Stand der Dinge im Nahen Osten zu vermitteln:
Er beschrieb uns die Araber - und die Palestinenser insbesondere - generell als nahezu grenzdebil, faul und nur auf ihren Vorteil bedacht. Unfähig, der Wüste einen gewissen Lebensstandard abzufordern, wären sie auf die intelligenteren und fleißigen Israelis nur neidisch und eifersüchtig. Das sei der eigentliche Hintergrund für die permanenten Spannungen, aber auch für die militärische Überlegenheit der Israelis in den Wüstenkriegen...
Weil die älteren Begleiter, die den Krieg noch miterlebt hatten, schwiegen, hörte ich noch eine Zeit lang zu. Dann unterbrach ich David mit der Frage, ob er eigentlich Jude sei. Er bejahte entrüstet mit einem zornigen "Warum?".
Weil ich mir eine halbe Stunde lang einen Vortrag von menschlicher Überlegenheit und Minderwertigkeit habe anhören müssen, der gut der Denkweise des Dritten Reiches entsprochen hätte. Und das zu Gast bei Menschen, die er wohl eindeutige verachte! Selbstredend sprach David für den Rest der Reise kein Wort mehr mit mir.
Aber wie das so ist mit einschlägigen Erinnerungen, gebähren sie gleich die nächsten:
Wenige Monate später wurde ich nämlich auf Jamaica Opfer eines schwarzrassistisch motivierten Angriffs, dem ich nur knapp ohne Schaden entging.
Ich fotografierte im Hinterland der touristischen Küste zwischen Montegobay und Ochos Rios, als eine Gruppe junger Männer meinen Wagen umzingelte und "We're killing you - white trash" skandierte. Das sei ihre Insel hier und ich habe gefälligst zu bezahlen, wenn ich sie fotografieren wolle. Ich hatte schreckliche Angst, aber mir wurde schlagartig auch bewusst, wie es ist, wenn man als einziger weit und breit eine andere Hautfarbe hat. Über diese Angst begann ich mit den jungen Leuten unverblümt zu sprechen. Das rettete nicht nur meine Kameras, sondern vielleicht auch mein Leben. Denn meine Reise hatte ja stattgefunden, um der Welt zu zeigen, dass Jamaica damals nach einigen tödlichen Attacken auf Touristen wieder sicher zu bereisen sei.
Da ich ja meist alleine arbeitete und demzufolge auch meist alleine auf Reportage reiste, hatte ich eigentlich nie über den real existierenden Rassismus und seine Erscheinungsformen nachgedacht. Dort, wo ich reiste, war ich oft der einzige Weiße, der einzige Europäer oder Deutsche. Ich war der Ausländer, ich war die Minderheit, und man war mir in 99 von 100 Fällen stets mit großer Freundlichkeit, Aufgeschlossenheit - und was noch viel wichtiger war - in Notfällen mit aufopferungsvoller Hilfsbereitschaft entgegegen gekommen.
Jetzt lebe ich zudem schon seit zehn Jahren regelmäßig in Italien unter den angeblich so verschlossenen Ligurern. Meiner Familie und mir - den Zugereisten - sind sie mit einer Freundlichkeit zugetan, die ich mit einem immer noch schlechten Gewissen unsererseits den ersten Gastarbeiten in Deutschland gewünscht hätte...
Und dennoch musste ich eines Tages erleben, wie rassistische Gedanken in mir hochstiegen, sich ein innerer Nazi-Schweinehund in mein Bewusstsein drängte. Seither bin ich überzeugt, dass unterbewusstes Infiltrieren in jedem von uns moralische Abgründe aufreißen kann.
Aber davon am Montag mehr.
Übrigens eine ganze Reihe meiner Erlebnisse sind Gegenstand von Erzählungen. Schreibt mir in Euren Kommentaren, wenn Ihr welche davon lesen wollt. Sie werden dann hier oder in meinem Blog "Briefe von der Burg" (ab April) mit einigen meiner besten, historischen Fotos zum jeweiligen Thema veröffentlicht.
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