In den bemerkenswerten, vergangenen Tagen der Erinnerung ist mir aufgefallen, dass wir bei all dem, was wir zu hören bekommen, nicht nur unser Verständnis vorgekaut bekommen, sondern dass uns das Begreifen auch noch von einem Berufsstand abgenommen wird, dem ich leider auch einmal selbst mit aller Eitelkeit und Besserwisserei angehört habe.
Erstes Beispiel Joachim Gauck Auch wenn er Bundespräsident ist, muss ein Mann, der zu den Betroffenen gehört hat und mit Bewältigung als Leiter einer Behörde betraut war, Zweifel daran äußern dürfen, ob eine der im Bundestag vertretenen, gewählten Parteien nicht doch noch das Gedankengut der untergegangenen DDR personell eingelagert hat. Joachim Gaucks Einlassung dazu war zwar pastoral getragen, aber derart präzise formuliert, dass man ihm "Parteilichkeit" nur schwer vorwerfen konnte. Der Journalismus hat es dennoch beinahe unisono geschafft, seine Meinung als Einmischung darzustellen und damit den "Shitstorm" der Linken noch zu unterstützen. Einer Partei, die sich in aller Öffentlichkeit außer Stande sieht, die DDR als Unrechtsstaat aufzuarbeiten.
Zweites Beispiel Wolf Biermann: Trotz seiner Verdienste als politischer Künstler war es einfach schlechtes Benehmen, die Feierstunde im Bundestag zu einer überholten Polemik gegen die alten Feinde zu missbrauchen. Der übertragende und kolportierenden Journalismus hat die Zurechtweisung vom Bundestagspräsidenten Dr. Norbert Lammert aber so zurecht geschnitten, dass daraus fast die Lachnummer geworden ist, die man uns vermitteln wollte.
Nur das sichtbar wütende Grummeln des sonst immer wortgewaltigen Gregor Gysi wurde kurz dazwischen geschnitten, aber nicht ein gesungener Ton Biermanns.
Drittes Beispiel Michail Gorbatschow: Da muss erst ein 83jähriger in seiner Eigenschaft als Friedensnobelpreisträger und Wegbereiter der Deutschen Einheit kommen, um die Argumente nachdrücklich zu wiederholen, die im lauten Dauerfeuer auf Vladimir Putins Niedertracht im Ukraine-Konflikt nicht nur unerhört blieben, sondern in der prowestlichen Berichterstattung gezielt versenkt wurden: Die USA, die sich als Sieger der "Kalten Krieges" fühlten, keine vertraglichen Abmachungen hielten und zudem Kriege als Außenpolitik anzettelten. Jetzt erst wird darüber diskutiert und nicht schon längst seit dem ruchbar gewordenen, arroganten Abhören befreundeter Staats-Administrationen.
Viertes Beispiel Daniel Barrenboim: Dieser Völker verbindende Gutmensch scheut sich nicht Beethovens sehr Deutsche "Ode an die Freiheit" am Gedenktag des Mauerfalls vor dem Brandenburger Tor zu dirigieren. Aber dürfen wir das dann auch hören? Wichtigtuerische, ins eigene Wort verliebte Moderatoren unterbrechen diese einmalige Darbietung immer wieder mit belanglosen Interviews. Ich bin wirklich ein großer Fan des Historikers Heinrich August Winkler, aber da war er in kommentierender Form und nicht wie sonst als Quellen sammelnder Chronist, der falsche Mann am falschen Ort zur falschen Stunde mit falschen Themen.. Ja, auch die sogenannte "Reichskristallnacht" musste unbedingt an diesem Tag thematisiert werden. Aber nicht in einem Augenblick, in dem Deutsche auch mal kurz stolz auf sich sein durften.
Fünftes Beispiel Claus Weselsky: In der Tat ist der GDL-Führer ein Unsympath ersten Ranges, weil er sich selbst ohne kritischen Abstand zur eigenen Wirkungsweise so darstellt. Sein Gegenspieler, Bahn-Vorstand Ulrich Weber schwimmt auch nicht gerade auf der Woge der Sympathie, aber ist öffentlich taktisch eindeutig besser geschult. Auf zehn Weselsky-Darstellungen traf allenfalls einmal die kurz eingeblendete Physiognomie Webers. Das hat dazu geführt, dass erstmals einheitlich ein Streik-Anlass von der Presse so dargestellt wurde, dass fast die gesamte Bevölkerung nur das Feindbild GDL sah. Die Ungeheuerlichkeit der BahnAG, den verfassungskonformen gewerkschaftlichen Pluralismus auszuhebeln, ging bei der Berichterstattung fast völlig unter. Das vorherrschende Bild: Eine erpresserische Klein-Gewerkschaft mit einem narzisstischen Streikführer sorgt für Millionenschäden an der Deutschen Wirtschaft. Was sogleich den Bundestag - ausgerechnet unter Federführung der SPD - zu einer entsprechenden Gesetzesänderung mobilisierte.
Mein Fazit: Trotz der Medienfülle müssen wir Konsumenten von Nachrichten und kolportierten Meinungen vorsichtig sein, dass wir nicht von einem Mainstreem-Journalismus mitgerissen werden, der durch den Überlebenskampf einiger traditioneller Medien geprägt wird.
Ein paar tausend Journalisten werden in diesen Wochen entlassen. "Eggheads", also angestellte Autoren, die immer ein Qualitätsmerkmal für guten Journalismus darstellten. werden reihenweise gekündigt. Was gar nichts damit zu tun hat, wie gut sie waren, sondern eher damit, dass sie teuer und unproduktiv sind.
Nicht, dass es bei uns bald wieder zu einer Situation kommt, in der dann ein altes Sprichwort abgewandelt werden müsste:
"Wes Brot ich ess', des Lied ich schreib!"
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