Freitag, 17. Februar 2012

Narren ohne Mitleid

Am 9. 3. des vergangenen Jahres - ebenfalls zum Faschingshöhepunkt - habe ich meine Verwunderung über die Diskrepanz zwischen kollektiver Betroffenheit und generalisiertem Narrentreiben in unseren Gemeinwesen zum Ausdruck gebracht. Die Zeiten waren ja auch hart.
Nun sind sie sogar noch härter, und - als sei dies ein Manifest für deutsche Narrenkultur - ist unser präsidialer Obernarr zeitlich passend zur Posse, die er in den letzten Monaten aufgeführt hat, zurückgetreten.

Das ist ein Quantensprung in der historischen Gewichtung des Narrenwesens. Denn die traditionelle Rolle des Narren war ja die des Beigeordneten zu den mächtigen Oberhäuptern und nicht die des Oberhauptes selbst.  Mit seiner sprichwörtlichen Narrenfreiheit hielt der Joker Königen, Kaisern und anderen Despoten, denen man nicht widersprechen durfte, kunstvoll den Spiegel vor. Das tat er vorzugsweise  in den vom gemeinen Volk am schwersten zu ertragenden Zeiten. (Amüsante und empfehlenswerte Lektüre hierzu: Christopher Moores Satire "Fool" erschienen bei Goldmann Manhatten)...

So gesehen war der Narr, der sich mit seiner Narretei über das größte Elend des Daseins hinwegsetzte, ein sozialer Katalysator. Er durfte sich dabei weder Mitleid noch Betroffenheit anmerken lassen. Allein sein Zynismus und der Hohn, den er über die Mächtigen ergoss, hatten eine gewisse Chance auf das Umdenken im Machtausüben einzuwirken.

Das war und ist immer eine Gratwanderung:
War sie zu schwach, kam die Botschaft nicht an. War sie zu stark, büßte der Narr oft  nicht nur seine Freiheit ein, sondern häufiger noch sein Leben.
Das ist bis in unsere Zeit hinein so geblieben, obwohl sich schon im mittelalterlichen Gaukler-Wesen zunehmend volkstümelnde Komponenten einschlichen, die moderne Wissenschaftler als Paradigmenwechsel, als Wandel der Rahmenbedingungen bezeichnen würden. Der Brot-fürs-Volk-Effekt, der sich in das allgemeinen Faschings- oder Karnevalstreiben unter gnädiger Gewährung der Herrscher festsetzte, sorgte ja wohl gewollt für eine Verflachung des Humors.

Man muss sich heute  nur die Dauerbestrahlung der Fernsehsender mit Übertragungen von Narrensitzungen aus den sogenannten Hochburgen geben, um festzustellen, dass es nur noch um plumpes Amüsieren auf Kosten anderer geht und nicht um Mitleid mit Völkern und Nationen, deren Elend von den Mächtigen herbeigeführt wurde und die es zu ändern gälte.

Wer in diesen Tagen kostümiert mit einem "Rettungsschirm" (hahaha, was für ein Brüller!) oder als "Sokrates ohne Sold" herumläuft, pfeift nur laut auf eigene Betroffenheit - wie ein Kind allein im dunklen Wald, das gegen die Angst ankämpft.

Schon in Zeiten Savonarolas gingen doch die Freudenfeuer unverzüglich in Autodafés über...

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