Mittwoch, 22. Februar 2012

Die Dialektik der "Diskreditierten"

Vermutlich wird es in der analytischen Linguistik bald das Fach "Rücktrittserklärungen" geben müssen. Wie bei kaum anderen Formulierungen kommt es in ihnen nämlich auf verschlüsselte Hinweise an. Das, was der Zurücktretende der Außenwelt über Gründe und Hintergründe für seinen Entschluss vermitteln möchte, wird durch seine Botschaft zwischen den Zeilen gerne konterkariert.

Unter diesem Gesichtspunkt liegt der Verdacht nahe, dass der plagiierende Freiherr und der vorteilnehmende Ex-(Minister-)Präsident sich ihre "Aus"-Reden vom selben Verschlüssler haben formulieren lassen. Wohl in der Hoffnung, dass man nach etwa genau einem verstrichenen Jahr zur Fasenacht lieber anderen Büttenreden zugehört hat...

Die kollektive Erinnerungsstütze durch das Internet, die wohl durch die Mächtigen bald ad A.C.T.A. gelegt werden könnte, bewahrt uns ja noch davor, dass sich derartige Sätze auf Nimmerwiedersehen verflüchtigen. Wenn nach sechs Monaten erst einmal "Gras über die Sache gewachsen ist", können die derart Diskreditierten - wie gerade erlebt - jedenfalls nicht auf ungestörte Comeback-Pläne hoffen - und das ist gut so!

 "Ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht" zu Guttenberg   ( gesamter Wortlaut Homepage Süddeutsche Zeitung) 

 „Ich war immer aufrichtig“ Wulff ( gesamter Wortlaut fr-online)


Sowohl zu Guttenbergs als auch Wulffs Erklärung weist folgende Parallelen auf:

Das Fehlen jeglichen Schuldgefühls oder Schuldeingeständnisses bei gleichzeitiger, verdeckter Schuldzuweisung an die, die die Skandale in Form von regelrechten "Hexenjagden" penetrant und ohne Angst vor peinlichem Machtgebaren vorangetrieben hätten. Dass es dabei den Diekmännern leichter gefallen sein dürfte, den Rubicon in der Causa Wulff zu überschreiten, als das selber hochgejubelte Jahrhundert-Modell des politischen Popstars zu demontieren, zeigt aber auch, dass fast alle Medien bei solchen Kampagnen überwiegend einem Selbstzweck folgen. Wir, die dummen, kleinen Bürger, sollen im Glauben belassen bleiben, die Pressefreiheit bliebe unsere verlässliche Schutzmacht.

Mag ja sein - aber eben nur in der Momentaufnahme! Im Vor- und Fortgang der Geschichte zählen ja auch jene Sätze, die die Herrschenden erst dort hin gebracht haben, wo sie derart scheitern oder ihr Amt samt Macht missbrauchen können.

Jedes Interview, jeder Kommentar, jegliche Personenbeschreibung trägt doch dazu bei, uns ein Bild  über Personen des öffentlichen Interesses zu machen. Diese Informationen verursachen das Scheinbewusstsein, wir wüssten über diese Menschen bescheid. Dabei projizieren wir beinahe ausschließlich manipulierte, noch dazu subjektive Bilder in einer Nachhaltigkeit, die bei ihrer Zerstörung umso erschütterndere Wirkungen erzielen. Die aktuelle Politik-Verdrossenheit könnte daher auch ein Indiz für kollektives Realisieren sein.

Es gäbe aus aktuellem Anlass eine gute Methode unsere Empfangsbereitschaft in dieser Richtung zu überprüfen. Befreien wir den Kandidaten und vermutlichen, späteren Bundespräsidenten Joachim Gauck einfach mal von allem, was wir jetzt täglich von ihm Gutes oder Schlechtes berichtet bekommen und messen ihn dann daran, wie er tatsächlich handelt und wie er sich zu diesem, seinem Handeln äußert.
Das könnte über die  jüngsten  "Bundespräsidialen Halbwertzeiten"  hinausreichen und recht spannend werden.

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