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Trotz meiner Agnostik war ich immer voller Respekt vor Gläubigen und der Weise, wie sie ihre Religion ausübten. Und nicht nur das. Zwar war ich nicht so fanatisch wie mein Vater, der jedes berühmte Gotteshausentlang unserer Reiserouten aus architektonischem Interesse aufsuchte, aber die Erhabenheit sakraler Bauten nahm mich auch stets gefangen. Als Neunjähriger stand ich in Istanbul erstmals in der Hagia Sophia und gleich darauf auch in der Sultan Achmed Moschee. Wenn ich mich recht erinnere, hatte ich meinen allwissenden Vater Löcher in den Bauch gefragt, um heraus zu finden, wieso erstere von den byzantinischen Christen als zunächst größte Kirche der Welt im sechsten Jahrhundert erbaut zur Moschee umfunktioniert wurde. Und wieso an der Hauptmoschee in Mekka ein siebtes Minarett errichtet werden musste, nur weil Achmed seiner Moschee sechs beschert hatte. In jenen Tagen meiner Kindheit wirkte der Laizismus Ata Türks noch nach. Die Hagia Sofia diente da wieder als Museum, und jeder Ungläubige konnte alle Moscheen des Landes besuchen. Die Imame waren sogar stolz darauf, wenn sie uns führten. Seit Erdogan geht das wohl nicht mehr, ohne als Ungläubiger aus dem "Tempel getrieben" zu werden.
Erst Dom, dann Moschee, dann Museum und unter Erdogan wieder Moschee quelle: t-online.de |
Meine Familie ging nur an Weihnachten in die Kirche. In den Volksschulen von Hamburg wurde nicht gebetet, und einen Religionsunterricht gab es auch nicht. Also war der Umzug nach München ein religiöser Schock für mich. In den Klassenzimmern hingen Kruzifixe, es wurde jeden Morgen ein Gebet mit ökumenischem Text gesprochen. Wer brav und fleißig war, bekam eindeutig katholische Bildchen als Auszeichnung. Klar, dass ich nie eines bekam.
Es gab getrennten Religions-Unterricht, bei dem uns aus mehreren Klassen zusammen gewürfelten, evangelische Minderheit ein Vikar aus der Gemeinde streng mit Katechismus auf Spur brachte. Der konfirmierte mich nicht nur, sondern besiegelte gleichermaßen meine Ungläubigkeit (siehe Burgschreiber-Blog).
Er legte später eine regelrechte Kirchen-Karriere hin, aber substanziell verankerte er doch Toleranz in meinem Gewissen. Wenn Vorschriften es später im Fernen Osten verlangten, dass ich für meine Reportagen-Reisen einen einheimischen Fahrer engagieren musste, dann nahm ich Rücksicht auf Gebetsstunden oder Rituale vor dem Start. Ich liebte es, morgens mit den Rufen der Muezzins zu erwachen oder wenn im Auto auf dem Armaturenbrett ein kleiner Buddha von Räucherstäbchen umwölkt war.
Seit der Kindheit bis heute verschafft mir der vielfältige Klang christlicher Glocken an Sonntagen einen wohligen Schauer von feierliche Erhabenheit, und es macht mich traurig, wenn mir bewusst wird, dass in der Pandemie niemand ihrem Ruf zum Gottesdienst folgt. Im Gegensatz zu Karl Marx und bei all meiner Agnostik erachte ich die bisweilen missbrauchte, soviel Schaden anrichtenden Religionen nicht als "Opium des Volkes".
So lange sie nicht zur Gewalt ausruft oder gar Gewalt auslöst, sollte sie unbedingt den Ängstlichen und Schutz Suchenden im Glauben Momente des Friedens und der Hoffnung schenken.
Glocken prägen Glauben - auch im Buddhismus Quelle: urlaub in thailand.com |
Das hat Marx geschrieben:
Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks. Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks.
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