Als die "Zweitbeste" und ich uns 1975 das Ja-Wort gaben, waren wir beide beruflich derart eingespannt, dass wir die Trauung terminlich irgendwo dazwischen schieben mussten. Hätten meine Eltern nicht so einen guten Draht zum Bürgermeister ihrer Gemeinde gehabt, dann wäre auch jener 25. Oktober nicht zu realisieren gewesen, denn das war auch ein Samstag, an dem eigens für uns das Rathaus aufgeschlossen wurde.
Das ganze Jahr bis dahin war eine 'Wetter-Katastrophe, aber an jenem Wochenende zeigte sich der Oktober nicht nur von seiner goldenen, sondern auch von seiner wärmsten Seite. Kurz, es war eine Hochzeit, von der man nur träumen konnte. Da schmerzte es wenig, dass es keine Hochzeitsreise geben würde. Die wollten wir dann irgendwann nachholen.
Seither haben wir viele unvergessliche "Hochzeitsreisen" gemacht. Die waren zwar alle kurz, hatten aber eines gemeinsam: Am 25. Oktober und rund um dieses Datum herum schien all die 39 Jahre immer die Sonne.
Warum sollte das am 25. Oktober 2014 ausgerechnet nicht so sein? Diese Hochzeitsreise durfte ja wegen des anstehenden runden Termins im nächsten Jahr heuer etwas bescheidener ausfallen. Und waren wir nicht gerade quasi flitterwöchnerisch von Italien in ein München angereist, das heuer einen nie dagewesenen Touristenstrom erlebt hatte?
Wie immer in den vergangenen vier Jahrzehnten oblag mir die Programm-Gestaltung. Die Wetter-Prognose gab meiner Planung zudem grünes Licht:
Weil wir das Oktoberfest ja verpasst hatten, und meine Frau das Kruschteln und die Schnäppchenjagd auf Floh-Märkten so liebt, sollte es am späten Nachmittag im Glanz der bunten Lichter auf die Auer Dult am Maria-Hilf-Platz gehen und nach großzügig bemessenen drei Stunden weiter ins Theater-Viertel zu einem französischen Restaurant, in dem wir zeit unserer Ehe die bretonischen Momente unserer letzten Vorab-Hochzeitsreise wieder belebt hatten.
Ausgerechnet ich, der öffentliche Verkehrsmittel meidet wie der Teufel das Weihwasser, hat wegen des zu erwartenden Alkohol-Konsums ein Programm per Tram ausgetüftelt. Das wurde noch dadurch begünstigt, dass meine Lieblings-Linie, die 27, uns ausnahmsweise quasi von der Haustür bis zur Dult transportieren sollte. Ich mag die 27 aber vor allem deshalb, weil sie die Hauptschlagader für den Transport zu allen Highlights der Stadt darstellt.
Und dann? Kaum steigen wir an der Dult aus, beginnt es in Strömen zu regnen. Für die Schausteller kein Spaß, weil ein paar Tage zuvor der Sturm schon die Stände in der sogenannten Schreigasse umgerissen hatte. Aber von deren miesen Stimmung wollten wir uns nicht anstecken lassen.
Neben seinem unstillbaren Hunger und dem Spaß, Römer zu verprügeln, hat mein Namenspatron Obelix noch eine Eigenschaft: Er lässt sich nur schwer von einem einmal gefassten Plan ablenken.
Die pragmatische "Zweitbeste", Kuratorin der Welt größten Sammlung einmal gebrauchter Regenschirme, fügte für zehn Euro ein erlesenes, himmelblaues Exemplar hinzu - und unverdrossen los ging es.
Meine irische Schiebermütze lag schon wie ein nasser Schwamm auf dem Schädel und die Imprägnierung meiner Stepjacke hatte schon lange ihren Widerstand aufgegeben, als ich reumütig einen Ort zum Schutz vorschlug, den ich agnostisch bei der Hochzeit noch gemieden hatte: Die Kirche.
Maria Hilf ist ein Riesending mit tragisch beladener Historie, aber sie birgt eine mächtige Korbinian-Statue, was der "Zweitbesten" Anlass genug war, nicht nur für unseren Sohn, sondern auch für den Rest der ungläubigen Familie ein Kerzchen zu entzünden. So war unser Kirchen-Asyl noch nicht einmal scheinheilig.
Aber es waren immer noch zwei Stunden zu überbrücken. Deshalb wechselten wir wie gute Bayern von der Kirche direkt ins Bierzelt, was neben der Platzsuche ein weiters -ernährungstechnisches,-Problem aufwarf: Wir wollten ja später Krustentiere verspeisen - da hätte Bier aber nicht gepasst.
Also saßen die alten Eheleute inmitten der Bierseligkeit und konsumierten einen überraschend guten Franken-Wein aus 0,25 Boxbeuteln. Glückselig das Paar, das nach fast fünfzig gemeinsamen Jahren noch derart ins Ratschen kommt. Denn plötzlich gingen im Bierzelt die Lichter aus.
Dass wir es trotzdem pünktlich mit der Tram zum Restaurant geschafft haben, verdanken wir letztendlich einer bildhübschen Migrantin, die uns in akzentfreiem Deutsch den Weg aus der Verwirrung des Stachus-Untergeschosses wies:
"Schauen Sie! Hier ist der Plan. Sie fahren vier Stationen mit der 19, dann sind Sie an den Kammerspielen. Ist ein wenig kompliziert, wenn man zum ersten Mal hier in München ist,"
Da gestanden wir ihr, dass wir schon annähernd sechs Jahrzehnte in der Landeshauptstadt leben, aber eben schon alt und trottelig sind. Die Schönheit antwortete mit einem glockenhellen Lachen und wünschte uns noch einen schönen Abend.
Der Wirt, den wir lange nicht mehr gesehen hatten, war jetzt oben rum ganz kahl und brauchte einige Zeit, bis auch er uns wieder erkannte.
Wir müssen ihm ein großes Kompliment machen, denn er hat es nicht nur geschafft, das plüschig pleureusige Ambiente über die vier Jahrzehnte zu erhalten, sondern auch die Qualität von Speis und Trank. - Auch wenn er die Nase etwas rümpfte, weil wir eingedenk des Nachmittags keinen Franzosen, sondern einen Iphöfer Kronsberg bestellten.
Zurück setzte sich die "Zweitbeste" mit der "U-Bahn ohne Umsteigen" durch. Die war proppenvoll, aber ein salafistisch gekleideter Afrikaner mit freundlichem Grinsen unter dem weißen Käppi und schwarzem Anorak über dem weißen Kaftan sprang sofort auf, um mir neben meiner Frau Platz anzubieten.
Später im Bett meinte die "Zweitbeste": Sechseinhalb Stunden von zuhause weg, reicht aber auch. Das war einer der schönsten Hochzeitstage, an die ich mich erinnern kann."
Was wirklich etwas heißen will - bei der ungekrönten Königin des Vergessens.
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