Freitag, 27. September 2013

Mein Lotto-Mann

Zeitlebens schloss der fromme  Huber-Bauer jedes seiner Vaterunser mit dem Stoßseufzer ab: "...Und liaba Gott mach dass i an Sechser im Lotto hob!" Als er auf der Zielgerade seines Lebens angekommen war, wurde es jenem höheren Wesen, das viele so verehren, zu dumm. Er teilte den weißblauen Himmel, und aus einem güldenen Strahlenkranz ertönte eine donnernde Stimme - übrigens der vom Seehofer Horst nicht unähnlich - und rief: "Huaba tua mia an Gfoin, füll an Lottoschein aus und spui endlich!"

Inzwischen gibt es ja die Superzahl zu den sechs Richtigen, und online kann man nun  auch schon  Lotto spielen. Ich weiß nicht, wie bedürftig der Huber-Bauer war, dass er so inständig um einen Lotto-Gewinn bat. So arg kann es all die Jahre ja  nicht gewesen sein. Oder er war immer so knapp, dass er nicht einmal das Geld aufgebracht hat für's Spielen....

Als Agnostiker rufe ich natürlich nicht den Himmel an, um im Lotto zu gewinnen. Ich weiß auch nicht wirklich, wieso ich eigentlich spiele. Ganz sicher nicht, weil Glücksspiel süchtig macht, wie einem das die Lotto-Werbespots immer einhämmern. Ich spiele auch nicht regelmäßig. In Italien gleich gar nicht, obwohl dort die Jackpots viel größer sind. Materielle Mängel hatte und habe ich nicht zu erdulden, und auch meine Erlebnis-Vielfalt hätte durch mehr Kohle nicht verbessert werden können.

Um ehrlich zu sein, würde mich das Knacken eines Jackpots nur schlaflos und vermutlich auch unglücklich machen. Dennoch spiele ich nur, wenn die Jackpots von überragender Größe sind. Und ich höre gleich wieder auf, wenn sie dann von anderen geknackt wurden. Meldungen von betagten, an der Armutsgrenze herumkrebsenden Rentnern, die den Geldsegen dann sofort zum Verjuxen an die Enkel weiter reichen, lese ich nur zu gerne. Nein, mit Ratio ist meinem Lotto-Spiel nicht beizukommen, eher bedarf es dazu der emotionalen Schiene.

Ich mag einfach diese Verteiler des vermeintlichen Glücks, die in zugeräumten Läden optimistisch mit der ungebrochenen Erwartungshaltung ihrer Klientel dealen. Früher - als wir noch im Speck-Gürtel von München lebten - bin ich immer zu einer älteren Dame gegangen, die im Zivil-Leben in unserer Straße wohnte. Ihre Annahme-Stelle im Ortszentrum war eine kommunale Nachrichten-Zentrale, und ich habe meine Scheine immer zu Zeiten abgegeben, in denen sie Zeit zum Ratschen hatte. -Was wir übrigens bei zufälligen Treffen in unserer Straße nicht taten. Sie wusste alles über alle. Manchmal kannte sie schon die Noten unserer Kinder, bevor die Zeugnisse überhaupt ausgegeben waren und nannte gleich geeignete Nachhilfen...

Inzwischen habe ich hier in Sichtweite vom Glashaus einen Lotto-Mann, der die Lotto-Fee von einst noch in den Schatten stellt. Einen Ur-Milbertshofener, der mit den meisten, die zu ihm kommen, in ewiger Nachbarschaft aufgewachsen ist. Er steht absolut unter der Fuchtel seiner Frau und genießt es deshalb, wenn er mal in dem Sammelsurium aus Zeitungen, Zigaretten-Stangen, Plastikbehältern mit Naschgummis, und Büro-Bedarf  alleine mit den Spielern ist. Dann kann jeder ungestört seinen langen Vorträgen zum Mietrecht, zu kommunalen Verfehlungen oder dramatischen Schilderungen  von Schicksalen aus der Nachbarschaft lauschen. Da kann es dauern, bis man seinen Schein los wird. Deshalb hält er auch immer noch Butterbrezn und Wurstsemmeln neben der Kasse parat, obwohl sein Laden neuerdings Wand an Wand mit einer Bäckerei lebt.

Er drückt es nicht explizit aus, dass er mich für einen Volltrottel hält, weil ich seinen Ratschlägen zum Systemspielen nicht folge oder während meiner Italien-Aufenthalte keinen Dauerschein nehme, aber er begrüßt mich bei den sporadischen Besuchen in seiner Annahme-Stelle doch eher wie einen Freigänger; ein wenig überrascht, aber auch besonders wachsam. Er kann ja nicht ahnen, dass ich bei meinem schweigsamen und geduldigen Lauschen mit offenem Mund ein ums andere Mal unverfroren und quasi gratis eine Geschichte für's Steinewerfen abgreife.

Ich weiß mittlerweile so viel über ihn - beispielsweise, dass er eine in Vietnam verheiratete Tochter hat, mit der er via Skype Nächte lang ratscht - während er mir Privates kaum entlockt. Einmal als ich ihm einen Schein mit einer nennenswerten Gewinn-Summe erst kurz vor Ablauf der Auszahlungsfrist vorlegte, hat er mich regelrecht geschimpft und aus der Reserve gelockt:
"Mich interessieren doch so kleine gewinne nicht", meinte ich leichtsinniger  und auch arroganter Weise.
"Ja, warum spuins dann  überhaupts?"
"Wegen Ihnen!"


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