Vielleicht kann der Mensch ja Integration von den Stadthunden lernen. Früher als ich selbst auf dem Land einen Hund hatte, hielt ich die Vierbeiner, die ihr Leben in der Stadt fristen mussten, für bedauernswerte Wesen. Ich ergötzte mich daran, dass mein Airedale mit flatternder Zunge und raumgreifenden Sprüngen über die Felder raste und hielt das für den Inbegriff von Freiheit. Nur,dass er sich in jedem Kuhfladen oder Aas wälzte und bei seinen Ausflügen undefnierbares Zeug verspeiste, trübte diesen Eindruck leider immer wieder.
Auf dem italienischen Burgberg, auf den wir kurz nach seinem Tod gezogen sind, verstärkte sich unser Vorurteil, dass Hunde innerhalb geschlossener Besiedlung nichts zu suchen hätten. Denn ihr Trieb, alles mit ihrem Kot markieren zu wollen, ist in den engen Gassen und auf den kleinen Plätzen nicht nur eine optische Zumutung, sondern auch eine ziemliche Geruchsbelästigung. Die Gemeindeverordnung, die Leinenzwang und Strafen für nicht beseitigte Hundehaufen vorsieht, nützte nicht allzu viel, weil ja auch streunende Hunde aus den Tälern den nun in ihrer Freiheit beschränkten Burghunden undbedingt ihre freigeistigen Duftmarken hinauftragen müssen...
Dabei ist für Herr und Hund alles nur eine Frage von Erziehung, Disziplin und der Bereitschaft, sich an die Gegebenheiten anzupassen. Dadurch, dass die Kreuzung hier unter meiner Fensterfront nur einen Steinwurf vom Park entfernt liegt und dieser goldprämierte Metzger dort seinen Laden hat, kann ich mehrmals täglich derart erstaunliche Beobachtungen über das Verhalten von Stadthunden machen, dass ich erstmals seit Jahren wieder daran denke, mir doch noch einmal einen Hund anzuschaffen. Mir ist jetzt klar geworden, dass ich in der Einbildung gelebt habe, meinem Hund ein Privileg gewährt zu haben. Dabei hatte ich nur versäumt, ihm jene Erziehung angedeihen zu lassen, in der er in seinem jeweiligen Umfeld zurecht kommt. Die Vorstellung von seiner Freiheit entsprang ja ausschließlich meinem Kopf. Vielleicht hätte er sich ja in der Stadt superwohl gefühlt, wenn er denn durch entsprechende Anleitung in ihr zurechtgekommen wäre.
Um es gleich vorweg zu sagen. Ich bin hier kreuz und quer durch die Blocks gegangen und habe bislang in keiner Straße einen Hundehaufen gesehen: selbst in den Tagen, an denen die Bürgersteige voller Schnee lagen, und auch auf der Freilaufzone im Park nicht, weil die Stadt dort entsprechend Behälter aufgestellt hat. Und doch sind es ja nicht wenige Hunde, die hier vorbeikommen. Jeder von ihnen - so scheint es - hat seine Individualität bewahrt und manche von ihnen zeigen einen ausgeprägten Charakter - gar Personality:
Ein Irish Setter mit rotem Halstuch geht frei und doch wie an einer unsichtbaren Leine. Er weicht auf dem Weg zum Park nie mehr als zwei Schritt von der jungen Joggerin, bremst ohne Kommando "Sitz" an der Roten Ampel, und wenn es auf dem Rückweg beim Metzger eine Wurstsemmel zur Belohnung gibt, wartet er ordentlich draußen, ohne sein Frauchen auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen; eine echte Paar-Beziehung.
Dann gibt es die Familien-Hunde. Ein Retriever-Mischling beispielsweise begleitet mehrmals täglich die kleine Familie deren Jüngste noch im Buggy sitzt, während die zwei Jungs mehr oder weniger noch an den Rockzipfeln ihrer Mutter hängen, die ihr Haar nach islamischer Vorschrift unter dem gebundenen Kopftuch verbirgt. Obwohl die Leine mit dem Buggy verbunden ist, hat man eher das Gefühl der Hund führt die Familie und gefällt sich selbstbewusst in der Rolle des Beschützers. Während die Jungs mit Mama in den Aladin-Market gehen, hält der Hund draußen am Buggy aufmerksam Wache. Beim Unterschreiten eines gewissen Sicherheitsabstands wird ein Fremder ohne wirkliche Aggression kurz aber bestimmt angebellt.
Während mein Rüde an keinem anderen ohne an kürzester Leine zerrendes Durchdrehen vorbei gekommen ist, sind solche stressigen Begegnungen hier eher die Ausnahme. Dabei könnte ich Beispiele von Bullterriern oder Bonzai- Kampfhunden aufführen, die genau so breitbeinig mit geschwollenen Klöten einherschreiten wie ihre südländisch aussehenden Herrchen.
Stadthunde lernen offenbar in dem Maße Integration, wie sie es beigebracht bekommen. Sie wirken auf mich weder eingeengt noch unterdrückt oder gar unglücklich. Ob je ein Deutscher Schäferhund darüber nachgedacht hat, ob mittlerweile populäre Hunde-Rassen aus dem Osten oder Westen Migrationshintergrund haben? Eher nicht, wenn man die ganzen Promenadenmischungen unter den hiesigen Zamperln beobachtet!
Manche von ihnen schauen ihre Herrchen und Frauchen mitunter an, als fingen sie gleich an zu sprechen...
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